ich habe mich gerade an einen Text erinnert, den ich vor 10 Jahren von meinem damaligen Meister bekommen habe, der den Lehrlingsalltag eigentlich sehr realistisch darstellt. Sollte es irgendwelche Probleme mit dem Copyright geben, bitte ich den administrativen Oberguru, diesen Post zu löschen. Danke.
Läuterung zum Goldschmied
Begrüßungsansprache zur Freisprechungsfeier der Goldschmiedelehrlinge in München von Obermeister Hans Hilz aus Straubing.
„Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Obermeister von Niederbayern möchte Sie ganz herzlich begrüßen und freut sich, daß er drei Prüflingen den Gesellenbrief überreichen darf. Sie, die Junggesellen, haben einen Traumberuf erlernt, um den Sie viele beneiden und bewundern. Warum dem so ist, weiß eigentlich kein Mensch, denn die Ausbildung zum Goldschmied ist ein wahrer Leidensweg, der mit Frust, Enttäuschung und Niedertracht gepflastert ist.
Nur ganz außergewöhnliche Menschen wählen diesen Weg und stehen ihn auch bis zum Ende durch. Goldschmiede-Azubis gehören zu dieser besonderen Gattung. Sie sind meist beiderlei Geschlechts, davon aber überwiegend und in der Mehrzahl weiblich, haben in der Regel Abitur oder im günstigsten Fall Mittlere Reife. Nach Hauptschülern fahndet die Branche vergeblich, denn diese fragen bereits beim Arbeitsamt, was bei diesem Geschäft zu verdienen ist. Sie sind dann für diese Branche verloren, werden Bankkaufmann oder studieren im zweiten Bildungsweg Lehramt.
Verblendet vom Glanz des Goldes und der Magie der Steine, beginnt nun der Traumberufene seine Ausbildung, ohne zu ahnen, was ihm bevorsteht. Die Stätte seines Wirkens entpuppt sich zumeist als chaotischer Raum, voller undefinierbarer Gerätschaften, der dringendst eines Malers bedürfte.
Anstatt das Gold zu schmieden, muß er erst einmal Unmengen von Messing zersägen; in Streifen, in Scheiben, in Quadrate und Muster. Schmerzlich erfährt er jetzt, welches blutige und gefährliche Handwerk er sich ausgesucht hat. Zersplitterte Sägenteile bohren sich locker in Daumen und sonstige Finger und machen diese im Lauf des Jahres durch gelegentliches Einsägen schmerzunempfindlich. Bohren und Feilen bergen die gleichen Gefahren, und so beendet der Azubi, täglich frisch verpflastert, in den ersten Monaten sein Tagewerk.
Die Illusion vom Traumberuf schwindet mit jedem Tag, und ein verstaubtes Schild an der Wand mit dem sinnigen Spruch ’Lehrjahre sind keine Herrenjahre’ wirkt auch nicht gerade tröstlich.
Der Gedanke, doch Psychologie zu studieren, drängt sich ins Bewußtsein, doch Durchhalten ist darum die Devise.
Neues ist angesagt – löten, die letzte Hürde. Gefährlich und schmerzhaft wie alle bisherigen Tätigkeiten, und noch dazu mit Gestank verbunden. Letzterer kommt von verbrannten Haaren, die, wie zu spät bemerkt, die eigenen sind. Mit Beginn des Lötens verändert sich nicht nur die Haartracht, sondern auch das Outfit erlebt einen sichtbaren Wandel. Langsam, fast unmerklich, fallen kleine und größere Löcher in die Kleidung. Ursache hierfür sind Spritzer von verdünnter Schwefelsäure, die zum Abbeizen der nun gelöteten Werkstücke benötigt wird. Dies erfährt der Betroffene allerdings erst, nachdem ein Großteil seiner besten Garderobe bereits ruiniert ist. Mit einer dem Feuer angepassten Frisur, bekleidet mit den ältesten Klamotten und auch sonst nicht mehr ganz froh im Herzen, beginnt unser angehender Goldschmied nicht nur seine Arbeit, sondern auch seinen Feierabend. Lange kann’s ja wohl nicht mehr dauern, bis man in die Gestaltungsprozesse eingreifen kann.
Es kommt aber ganz anders, denn jetzt beginnt der Psychoterror mit der Übung ’Wir fertigen Fassungen’. Da gibt es runde, ovale, vier-, recht- und achteckige, Tropfen, Herzen und noch vieles mehr. Und bei allen Formen sollte das Material den vorhandenen Stein mit 4 Zehntel mm Abstand zur Außenkante umrunden. Eine unlösbare Aufgabe. Abiturienten versuchen der Lösung mit Algebra näherzukommen. Realschüler probieren den pythagoreischen Lehrsatz. Volksschüler, wenn überhaupt vorhanden, versuchen’s mit Augenmaß.
Die Ergebnisse aller Bildungsgrade sind zumeist unbefriedigend, denn weder in der höheren Mathematik noch in der Praxis ist ein gleichschenkliges Dreieck mit drei verschiedenen Seitenlängen bekannt.
Wer das große Glück hat, in einer klassischen Goldschmiede zu lernen, dem werden von nun an wenigstens einige Stunden zur Meditation eingeräumt, die er mit dem Knoten von Perlenketten verbringen darf. Kettchen löten wird als Alternative angeboten.
Trotz erweitertem Kenntnisstand sind auch bescheidene Erfolge kaum in Sicht, denn irgendetwas geht immer schief. Scharnier festgelötet, Fassung verschmort, Broschierung verkehrt, und wenn doch mal alles klappt, dann ist wenigstens der Kader zu niedrig oder zu dick. Für alle Unkundigen: Ein Kader ist keine männliche Miezekatze, sondern die untere Umrahmung einer Brosche.
Während Selbstzweifel und Alpträume unseren Azubi quälen, verschlechtert sich sein äußerer Zustand zusehends. Die von ihm gefertigten und in den Augen des Meisters fast unbrauchbaren Werkstücke müssen nämlich auch noch geschliffen und poliert werden. Trotz größter Mühe und eines Materialabtrags von 30 % will sich der ersehnte Glanz nicht einstellen, der eigentlich alle Schwachstellen beseitigen sollte. Gleichzeitig verfinstern sich Gesicht, Hals und Hände sowie die Kleidung, denn Schleif- und Poliermittel hinterlassen einen schwärzlichen, festhaftenden Niederschlag, der nur schwerlich zu entfernen ist.
Von nun an verbringt man seine Abende mit Selbstreinigung und der Säuberung der für die Arbeit spezifischen Textilien. Wegen vermeintlicher Unfähigkeit und berufsbedingter Unattraktivität vermeiden Goldschmiede-Azubis von nun an jeglichen Kontakt zum anderen Geschlecht. Was für die Persönlichkeitsbildung auch nicht gerade förderlich ist.
Um der totalen Vereinsamung vorzubeugen, hat der Gesetzgeber darum die Blockbeschulung eingeführt. Größere Erfolgserlebnisse oder gar die Möglichkeit zu Selbstverwirklichung sind im Lehrplan dieser Institution aber nicht vorgesehen. Tröstlich darum die Worte von Herrn Wagner: ’Man lernt nie aus im Leben.’
Mit Beginn des vierten Lehrjahres verspürt unser Azubi eine leichte Verbesserung seiner Lebensqualität. Fast schmerzfrei verbringt er sein Tagewerk, zum einen, weil er kleinere Verletzungen nicht mehr registriert, zum anderen kann er zwischendurch größere ganz gut vermeiden. Seine Arbeiten finden Anerkennung im Kommentar des Meisters ’Na ja, kann ma’ lassn.’ Man wäre fast glücklich, hätte er im Weggehen nicht noch gemurmelt: ’Wennst as jetzt noch in der Hälfte der Zeit gemacht hättst, dann kannt mas sogar vakaffa.’
Die langsam bevorstehende Gesellenprüfung lässt alle Arten von Demütigungen vergessen, denn die Gedanken kreisen nunmehr ums Gesellenstück.
Ring –
Brosche –
Anhänger – Collier. Ein Ereignis für die gesamte Branche – oder wenigstens für die Verwandtschaft soll es sein – und das in 32 Stunden. Mit der Entscheidung, nun doch eine als Anhänger und Krawattenklammer zu verwendende Brosche zu fertigen, ist eigentlich das Schlimmste bereits überstanden. Der Rest muß nunmehr gemacht werden. Glückliche Tage am Ende eines langen Leidensweges.
Sie haben es geschafft, liebe Jungesellinnen, Junggesellen, und wer eine Goldschmiedelehre unbeschadet überstanden hat, der fürchtet weder Tod noch Teufel, und um dessen Zukunft braucht sich keiner mehr zu sorgen.
Ich freue mich mit Ihnen und hoffe, daß Gold- und Silberschmied doch noch ein Traumberuf für Sie wird“.