Zitat geschrieben von Mario Sarto
Ungeachtet Deiner sonstigen Vermutungen über die mögliche Geschichte des Teils ist das etwas, was mich wirklich interessiert. Kannst Du hier bitte konkret die Dinge benennen? Welche Techniken im Schmuckbereich sind es, die wir uns heute mühevoll aneignen müssen, weil das Wissen darum nicht mehr vorhanden ist? Du hast Dich ja nun ausgiebig mit diesen Themen befasst, so dass Du mir hier sicher Auskunft geben kannst.
Ich weiß nicht, ob ich zu deiner Zufriedenheit Auskunft geben kann. Wird mir vermutlich nicht gelingen, das sehe ich jetzt schon
Ich befürchte, ich schreibe mal wieder am Thema vorbei *seufz*
"heute mühevoll aneignen müssen" ist vielleicht ein leichter overkill, weil die Generationen vor uns schon wieder einiges an (fast) verlorengegangenem Wissen wiederhergestellt haben durch intensives Studium z. B. vom Wolters (der hat auch noch anderes geschrieben als sein Technologiebuch) oder der Theophilus Presbyter-Schriften und entsprechendes ausprobieren und wieder verwerfen - auch was die Werkzeugherstellung betrifft. Es sind die nicht mehr oder nur zufällig gelehrten Techniken, die, wenn sie nicht weitergegeben werden, weil sie - auch wegen Modetrendänderungen - kaum mehr einer nutzt bzw. der Nachfolgegeneration weitergibt, wieder in der Versenkung verschwinden werden (da gibts doch so ne nette Reihe vom Bayerischen Rundfunk "Der letzte seines Standes"). Da wäre die Granulation beispielsweise zu erwähnen - granulieren nicht nur mit Kontaktlot, sondern wirklich geschweißt. Filigran. Oder das Tauschieren - nicht nur in die Tiefe, sondern auch auf der Oberfläche. Niello (ich kann mir nicht vorstellen, daß tauschieren und Niello nur noch in der Waffenschmiede Anwendung finden sollte). Perldrahtherstellung (haben wir hier ja auch schon intensiver beplaudert). Emaille - Maleremaille, Emaillemalerei, Grisaille, Ajouremaille. Feuervergoldung. Anreibevergoldung. Klebstoffherstellung. Herstellung antiker Fassungen - nicht nur die Perldrahtchatons mit den dreiendigen Krappen. Ziselieren. Meißeln. Montagearbeiten riesiger Gegenstände ohne die heutigen technischen Möglichkeiten wie beispielsweise PUK und Laser als Heftmöglichkeiten vor dem Löten (Kelche, Kannen, Monstranzen, Kreuze etc.). Es ist schwer, hier was konkret zu benennen.
Manche werden sagen, daß moderne Hilfsmittel heutzutage diese alten Techniken alle ersetzen können und man sich nicht der modernen Technik verschließen soll. Klar gibt es Colorit, Lacke, Resinkügelchen, die Granalien ersetzen sollen, fertigen Perl- und Kordeldraht zu kaufen, Laser- und Punktschweißtechnik, CAD, CNC-Fräsmaschinen, 3D-Drucker- und Scanner, Gewindeschneider für metrische Gewinde, Siebdruckfolien zum aufbrennen etc. Hat alles seine Berechtigung. Keine Frage. Man wäre ja blöd, solche Möglichkeiten, sollte man sie zur Verfügung haben, nicht zu nutzen. Das sieht auch die Restaurierung so.
Ich weiß noch aus den Erzählungen der Obermeisterin von Schwäbisch Gmünd, die den Auftrag hatte, die Reichskleinodien für Schwäbisch Gmünd herzustellen, daß sie trotz intensiver Forschung im Theophilus und sonstigen Quellen viel experimentieren mußte, um beispielsweise das Zellenemaille der Reichskrone nachzubilden, ohne daß 1/10mm "dicke" Zellwände umkippen, einsinken oder einschmelzen. Oder eben die Fassungsherstellung, die heutzutage nicht mehr üblich ist.
Mal Hand auf's Herz. Wer der hier Mitlesenden und Mitschreibenden kann noch granulieren, tauschieren, ziselieren, emaillieren, Ajouren sägen etc., hat das in der Lehre - nicht über eine Weiterbildung - gelernt, wendet das noch an und gibt es seinen Lehrlingen weiter? Bzw. hat diese Techniken in Form von Schmuck in seiner Auslage liegen? Ich habe emaillieren (bis zum Restauratorenkurs nur noch einmal gemacht seit der Lehre), ziselieren (zuletzt in der Meisterschule gemacht, danach 2-3x benötigt), silberschmieden (zuletzt in der Meisterschule gemacht, danach nie mehr gemacht), Ajouren (nie mehr gemacht) und Edelsteine fassen (regelmäßig gemacht) in der Lehre an der Goldschmiedeschule gelernt. Mein Lehrmeister im Betrieb hatte keine weiteren Techniken "auf Lager", die er mir hätte beibringen können.