Lieber Kollege Wehpke,
Sie haben meine Kurzinformation zur Gewerbefreiheit aufgegriffen, mit Ihrer Grundhaltung bezüglich Profi- und Hobbygoldschmieden bin ich ausdrücklich einverstanden, mit der Lehrausbildung stimmt das so nicht. Kurzum: Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dieses leidige Thema hier und jetzt grundsätzlich zu behandeln, und dazu begrüsse ich ausdrücklich diejenigen, die es direkt betrifft:
Liebe Hobby- und Profi-Schmuckmacherinnen und -macher!
Bei der Vorbereitung der 16. Auflage meines Goldschmiedelehrbuchs "Theorie und Praxis des Goldschmieds" ging es mir u.a. um die ganz einfache Frage:
"Kann man einen Goldschmiedebetrieb auch ohne Meisterprüfung eröffnen? JA oder NEIN!"
Ich befragte befreundete erfahrene Kollegen, Innungsobermeister: Lauter Widersprüchlichkeiten!
Ich blätterte in den umfangreichen Goldschmiedezeitungen: Nichts! Kein Thema!
Also machte ich das was sich nach meiner Erfahrung in solchen Fällen immer bewährt hat, ich wandt mich an die oberste Instanz, in dem Fall an den Zentralverband des Deutschen Handwerks, und von Justiziar Klaus Schmitz bekam ich am 25.7.06 eine leicht verständliche konkrete Ant-wort:
"Die in ihrem Brief aufgeworfenen Fragen zur selbständigen Ausübung des Goldschmiedehandwerks lassen sich relativ leicht beantworten:
Mit der Novellierung der Handwerksordnung zum 1. Januar 2004 wurde das Goldschmiedehandwerk aus dem Bereich der zulassungspflichtigen Handwerke der Anlage A zur HwO herausgenommen und dem Bereich der zulassungsfreien Handwerke (Anlage B1 zur HwO) zugeordnet.
Dies bedeutet, dass jedermann das Goldschmiedehandwerk als stehendes Gewerbe selbständig ausüben darf, unabhängig von der beruflichen Qualifikation. Damit ist selbst eine Gesellenprüfung als Voraussetzung einer selbständigen Betätigung im Goldschmiedehandwerk entbehrlich."
Zur Information muss man wissen, dass mit dem 1.1.04 in der Anlage A der Handwerksordnung nur einige Berufe aufgelistet sind, in denen der Betriebsleiter ein Handwerksmeister sein muss, um die Qualitätsstandards zu sichern, wie Optiker, Elektriker.
Um es ganz klar zu sagen: Jeder, der Schmuck macht und dies zu seinem Beruf machen will, bekommt von der Handwerkskammer eine diesbezügliche Gewerbegenehmigung zur Eröffnung eines Goldschmiede-Handwerksbetriebs ohne jeglichen Nachweis der beruflichen Qualifikation.
"Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung", hiess es am Ende des Schreiben. Also rief ich an und fragte, wie es mit der Ausbildung von Lehrlingen sei und erfuhr:
"Jeder, der einen Goldschmiede-Handwerksbetrieb führt, ist berechtigt, Lehrlinge auszubilden!"
Lieber Kollege Wehpke, offensichtlich sind die Lehrlinge aus Meisterbetrieben und aus den freien Betrieben gleichberechtigt, müssen also beispielsweise die gleiche Berufsschule besuchen
Da, wie gesagt, in offiziellen Fachkreisen über dieses Thema nicht gesprochen wird, weiss ich nicht, ob die Gleichbehandlung beider Lehrlingsarten so funktioniert, so sehr viele Beispiele dafür gibt es wohl gegenwärtig noch nicht. Wir werden sehen.
Das als sind die Fakten! Aber Jammern hilft nicht!
Die Gewerbefreiheit der EU hat das gute alte System der Goldschmiedeausbildung besiegt!
Hier endet die sachliche Information!
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Für mich ganz persönlich ist diese Situation schockierend! Ich habe lebenslänglich junge Goldschmiede auf dem Weg der Berufsausbildung sowohl als Lehrer als auch als Buchautor begleitet.
Im Vorwort zur 16. Auflage von "Theorie und Praxis des Goldschmieds" habe ich meine persönliche Meinung zu dieser neuen Situation so ausgedrückt:
Ich bin stolz auf meinen "Goldenen Meisterbrief", und ich empfehle aus meiner 40jährigen Erfahrung als Goldschmiedelehrer die solide Ausbildung unter Anleitung erfahrener Meister und Fachlehrer mit Gesellen- und Meisterprüfung, aber wir sollten auch die jungen Leute ernst nehmen, die voller Begeisterung für die Goldschmiedekunst ihren eigenen Zugang zu unserem Beruf suchen. Sie gehören nun auch ganz offiziell dazu, denn das traditionelle Reinheitsgebot der deutschen Goldschmiede
- Erst die Meisterprüfung, dann die Geschäftseröffnung -
gilt seit 2004 nicht mehr, und wir müssen uns auf die neue Situation einstellen, daß nämlich jeder, der es sich zutraut, bei der Handwerkskammer ganz unkompliziert einen Goldschmiede-Gewerbebetrieb anmelden kann. Keine Gesellenprüfung, keinen teuren Meisterlehrgang mit Meisterbrief, keinen Nachweis praktischer Tätigkeit - die Freiheit ist grenzenlos!
Aber, wie jedes Schnäppchen, hat auch dieses hübsche Sonderangebot einen Haken, denn es gibt eine Prüfungskommission, an der man sich nicht vorbeimogeln kann, die den Jungunternehmer gnadenlos überprüft und keine Schwäche, keinen Fehler durchgehen läßt: Seine Kundschaft!
Ob mit oder ohne Prüfung, die Kunden verlangen meisterliche Qualität! Die Schmuckstücke im Schaufenster des "Freien Goldschmieds" sollten nicht schlechter, sondern möglichst deutlich besser und etwas billiger sein als beim Goldschmiedemeister auf der anderen Straßenseite: "Kon-kurrenz belebt das Geschäft". Scharlatane, unsolide Hobby-Künstler, Pfuscher, durchgefallene Meisterprüflinge haben keine Chance. Wer aber Talent hat, die "Goldschmiedekunst" als Lebensinhalt empfindet, fleißig und zielstrebig am Werkbrett arbeitet, Fehler und Mißerfolge zur Erkenntnisgewinnung nutzt, kann es schaffen.
Neben dem Werkbrett sollte aber unbedingt das teure "etwas öde und angestaubte" Fachbuch stehen, in dem "der Autor nur so mit Fachbegriffen um sich wirft", und von dem es in einer US-amerikanischen Rezension heißt:
"Wenn Du nur zwei Bücher in Deiner Werkstatt hast, muß eines davon 'Der Brepohl' sein!' "
Seit 50 Jahren wurde mir immer wieder versichert, dass der Goldschmied von der Schmuckindustrie und das gedruckte Buch von Fernsehen, Video, CD etc. verdrängt werden würden. Weil ich mich davon nicht beirren liess - und weil Qualität sich doch irgendwie durchsetzt - habe ich mich mit meinen Büchern durchsetzen können.
Ich hoffe, dieses schwierige Problem etwas aufgehellt zu haben!
Und wie geht es weiter?
Nur ein Beispiel: Zahnschmerzen!
Gleich um die Ecke die Praxis von Dipl.med. Heidemarie Müller,
zwei Strassen weiter: Dr. med. dent. Friederike Hoffmann.
Na, wohin werden Sie gehen?
Ähnlich wird es sich bei den Goldschmieden entwickeln: Der Meisterlehrgang ist ja nicht nur teuer, zeitaufwändig, stressig, sondern auch interessant, lehrreich, nützlich für eine solide berufliche Zukunft.
Ich bin sicher, dass die Gewerbefreiheit dafür sorgen wird, dass die Kunden, vielleicht erst nach "Geiz-Geil-Erfahrungen"und ihrem Anspruch entsprechend, den Laden an dessen Eingangstür "Goldschmiedemeister" steht oder das Studio eines Schmuckdesigners suchen werden!
Qualität wird sich auch zukünftig durchsetzen, und für den Goldschmied bedeutet dies von alters her eine solide Grundausbildung - ob unter Anleitung eines erfahrenen Meisters oder im Selbststudium - das mag jeder für sich entscheiden.
Das Ende des Goldschmiedehandwerks ist nocht nicht in Sicht und manchmal kann man sogar die Goldschmiedekunst erkennen!
Erhard Brepohl [/i]