Hallo Eva, moin Rest,
mit den Outfit-Vorschriften ist das so eine Sache: Der Glaube an den Sinn ihrer Notwendigkeit schwankt in relativ regelmäßigen Abständen und zwar im gleichen Rhythmus wie andere Themen aus dem Spannungfeld Freiheit <-> Konventionen. Im Moment leben wir in einer Phase, wo Konventionen wieder Hochkonjunktur haben: Benimmkurse (was auch immer das ist) sind überbelegt, Knigge, der reaktionäre rechte Knochen, den jeder im Munde führt, aber niemand gelesen hat, wird "heranzitiert" wie ein Guru, Koch-, Deko- und Einrichtungsregelbücher erfreuen sich großer Beliebtheit, die meisten sind wieder ganz verrückt auf klare Regeln. Die Vorstellung, ein Gast könnte an mir oder sogar in meinen privatesten Räumen irgendetwas auszusetzen haben, treibt offenbar den meisten den Angstschweiß auf die Stirn.
Ein alter weiser Mann aus England hat mal gesagt: Regeln sind eine Krücke für die Lahmen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Sie sind nämlich auch etwas, an das man sich schnell gewöhnt. Und so zeichnet unsere Zeit sich durch beide Seiten aus: Chefs (und noch viel mehr Junior- und Vize- und selbsternannte Chefs) fühlen sich wieder ermächtigt, weitreichende Outfit-Vorschriften zu erlassen und Angestellte sind ganz begierig, genau zu wissen, wie sie dem Chef am besten gefallen. Bloß nichts falschmachen ...
Traut man Fachleuten auf diesem Gebiet, dann steht diese Oberängstlichkeit, auch unwichtigste Kleinigkeiten falsch zu machen, in direktem Bezug zur Angst um den beruflichen Erfolg (Stichwort: Arbeitslosigkeit). Angst und Freiheit haben eben selten zusammengepasst.
Also zurück zur konkreten Frage: Deine Beobachtung ist richtig. Es gibt vermehrt Outfit-Regeln in Firmen (Bei Stewardessen geht das bis in die Bestimmung von Make-up-Farben!), das Interesse an eindeutiger uniformierter Berufskleidung nimmt zu (die Diskussion um Schuluniformen gehört auch hierher) und die Richtung heisst: angepasst, unauffällig, edles aber nicht zu edles Understatement. Imagebildung über die Erscheinung der Mitarbeiter ist eben eine Folge, wenn man Inhalt mit Verpackung verwechselt ... Da diese Regeln aber nicht immer rechts"konform" sind, um es freundlich zu sagen, geben sich gerade große Firmen viel Mühe, das nicht wie Regeln aussehen zu lassen und z.B. Formblätter zu verteilen. Man bevorzugt den "persönlichen Hinweis" und die gezielte Instrumentalisierung der "Gruppendynamik" (auch Herdendruck genannt). Große Firmen beschäftigen für soetwas eigene und sehr gutbezahlte Leute, denn jede Zeit hat ihre Scharlatane. Wer je was über unsinnige Investitionen lernen will, dem empfehle ich 2 Monate Arbeit in so einer Position ... ... ...
Und nur im Zweifel: Diese Vorschriften treffen nicht nur sog. weibliche Empfindlichkeiten wie Mitarbeiterinnen eines Telesenders, die durchstochene Ohrläppchen haben müssen, auch wenn das natürlich nicht in ihrem Arbeitsvertrag stehen darf. Ein sehr großes Deutsches Traditionsunternehmen schreibt seinen Mitarbeitern die Farbe und Unterpreisgrenze ihres Privatwagens vor, wenn sie damit auf dem Firmenparkplatz parken wollen und grenzt die Alternativen der Herrenausstatter und das Höchstalter der Kleidung exakt ein, damit sich die dunklen Anzüge verschiedener Mitarbeiter ja nicht beißen.
Aber dem Himmel sei Dank hat Regine in einem sehr viel weiteren Sinne recht: Natürlich prägt die Familie den Geschmack, aber nicht immer in der von Eltern erwünschten Weise. Glücklicherweise haben Kinder nämlich die Eigenschaft, sich von Eltern unbedingt abgrenzen zu wollen und etwas bewusst genau anders zu machen. Vielleicht verdanken wir letztlich nur diesem ewigen Dagegen und Protest den Fortschritt ... bekanntlich wächst nämlich Kreativität und Leistung nie aus den Uniformen, sondern nur aus dem dringenden Wunsch, sie ganz schnell loszuwerden. Und spätestens, wenn die Konjunktur wieder anzieht, wird das irgendwann auch den Firmen wieder einfallen, wenn mal wieder irgendein ungepflegter schlechtangezogener Lümmel aus seiner Garage die Welt umkrempelt. Spät natürlich und zögerlich, aber ganz ganz bestimmt. Denn die Hoffnung ...
Jade