Hallo Goldie,
so, es ist vollbracht! Am Samstag bin ich mit meiner Benzin- Kalesche bei der Tankstelle vorgefahren. Bei der mit der ganz feinen Waschanlage. Nur Lappen und Schwämmchen und so. Außerdem gibt es dort auch noch Staubsauger - und Handwachs! Natürlich auch Sprit, Super und Normal. Wir nehmen immer Normal, und Kalla ist zufrieden.
Also, Kalla war schon ganz aufgeregt. Kaum hatte ich den Schlüssel im Schloss gedreht, schnurrte sie mit ihren Zylindern wie ein Kätzchen vor einer Mäusehandlung. Ist ja klar dass sie was gemerkt hat, denn sonst bleibt sie samstags meist unbenutzt stehen. Und wenn, dann brauch ich sie immer erst abends. Also kein Wunder, wenn sie Lunte gerochen hat, es war schließlich erst 11 Uhr Vormittags. Kalla zeigte sich gut gelaunt und machte an der Ampel sogar einen albernen Knicks vor einem Radfahrer, der bei Rot noch schnell über die Kreuzung musste. Danach einen Kilometer geradeaus , links ab, und da war sie schon, die Tanke. Kalla bog von selbst ein.
Nicht etwa dass sie dieses Manöver nicht ordnungsgemäß vollzogen hätte, nein, es war perfekt! Aber trotzdem ungezogen! Es ist ein wirkliches Elend mit Kallas Hang zum Benzin. Alles verleibt sie sich ein - Super plus, Super, Normal, - es spielt überhaupt keine Rolle. Ich muss aufpassen, sonst vergreift sie sich womöglich noch an Diesel! Wenn ihre Gier erst einmal geweckt ist, dann wird sie unersättlich. Und sie hat Witterung aufgenommen. Ein richtiger Junkie.
Ich rufe sie zur Ordnung und bewege das Lenkrad mit bestimmender Gewalt. Aber das ist auch wieder Kalla: Kaum spürt sie den harten Griff des verärgerten Meisters, fällt sie devot in sich zusammen, nimmt die Kurve mit unnachahmlicher Eleganz und schmiegt sich lasziv mit ihren warmen, weichen Lederkissen an mich. Ach Kalla, warum bist du nicht aus Fleisch und Blut?...
Solchermaßen milde gestimmt, bewege ich Kalla in Richtung Waschstraße, die sie über alles liebt. Die Waschstraße ist ihr Badeparadies. Und wie immer genießt sie diese kurzen Minuten in allen Zügen, reibt sich an den Schwammrollen, ruckelt, zuckelt und brummt. Dann durch den Windkanal, Kalla ist im Himmel. Viel zu schnell öffnet sich die Pforte und mit einem enttäuschen Brummen setzt sie sich in Bewegung. Aber ich habe noch eine ganz besonderen Nachtisch für sie. In Höhe der Wachsboxen trete ich kurz und hart auf die Bremse. Sie mag das nicht, ich weiß es. Um die Verwirrung komplett zu machen, lege ich den Rückwärtsgang ein, Karla ist völlig ratlos. Und nun drehe ich das Lenkrad nach links und fahre in einen der Wachsplätze ein. Kalla lässt vor lauter Überraschung ihren Motor ausgehen - oder war das etwa Absicht? Schon immer hat sie begehrlich in die Boxen geschaut, anfangs sogar einmal geblinkt, und nun - die Gelegenheit war einfach zu verlockend. Und der Motor aus, denn sicher ist sicher!
Kalla ist eine echte Frau. Hier im Zentrum der Pflege, der Schönheit, mit frisch geföhnter Karosserie und blitzenden Chromteilen im gleißenden Licht der Kaltlichleuchten, Kalla genießt jeden Augenblick. Wie lange schon hat sie - jäh hält sie inne und verscheucht ihre Gedanken. Ein Neuankömmling in der Box nebenan. Kalla ist hin und hergerissen. Mit einem leisen, dumpfen Grollen steht er da, jeder Zoll ein Sportwagen, jeder Zoll vermittelt den Eindruck der puren Kraft, jeder Zoll rot: Ein Ferrari! Kalla ist wie von Sinnen. Kaum spürt sie den kühlen Schwall der Lotion auf ihrem Dach, starr ist sie auf den Ferrari fixiert, der seinerseits von Kalla keine Notiz nimmt. Eine Aura der Arroganz umgibt seine südländische Schönheit. Dann, ein kaum wahrnehmbares Blinken, Kallas Zylinder beben, ihre Antenne zittert, ihre Düsen tropfen, Aumor hat seinen Pfeil ins Zentrum ihrer Autoseele geschossen.
Als sie wieder zu Sinnen kommt, massiert sie ein gewaltiger Wollbuff auf dem Dach und auf der Haube. Der Ferrari sieht irgendwie lächerlich eingekleistert aus, und aus seinem Feuerrot ist ein undefinierbarer Mischmasch aus rot, grau und weiß geworden. Kalla beruhigt sich zusehends, außerdem hat sie einen gewaltigen Durst. Es wird Zeit, dass sie Benzin bekommt. Der letzte Lappen wird entfernt, ich lasse den Motor an, und Kalla betrachtet sich wohlgefällig im Spiegel der großen Scheibe des Kassengebäudes. Was sie sieht bringt sie vollkommen außer Fassung, ihr stockt der Motor! Selbstverliebt blinzelt sie mit den Nebelleuchen ihrem Spiegelbild zu, lässt den Motor wieder an und gleitet mit dem sanften Geräusch ihrer acht Zylinder und im Vollbewusstsein ihrer ganzen pechschwarzen Schönheit, zur Zapfsäule. Nun schau einer, wie lächerlich dieser arrogante Fatzke aussieht! Und mit diesem Gedanken ist sie bei der Zapfsäule.
Auf eines kann man sich bei Kalla immer verlassen: Wenn die Gelegenheit vorhanden ist, säuft sie bis zum Abwinken, so lange bis buchstäblich kein Tropfen mehr hineingeht. Nun kann sie nicht mehr, ihre Tankkapazität ist erschöpft. Nichts auf der Welt ist Kalla lieber, nichts auf der Welt befriedigt sie mehr, als wenn der Einfüllstutzen sein kühles Nass in sie fließen lässt. Bei diesem, leider viel zu selten stattfindenden Ritual, ist Kalla nicht mehr ansprechbar. Unfähig auch nur noch einen Wischer zu bewegen, erlebt sie mit jeder Faser, mit jeder Schraube. Die anfänglichen Glücksgefühle weichen nach und nach einem Gefühl der unbändigen Kraft, die mit jedem Liter mehr wird, sie spürt die sanfte Spannung ihres sich langsam füllenden Tanks, und es überkommt sie ein immer stärker werdender Bewegungsdrang. Ihre gesamte, hochentwickelte Technik befindet sich im Alarmzustand, bis hin zum Katalysator.
Gierig hat sie den Treibstoff in sich aufgenommen. Links vorne, bei den Boxen bemerkt sie, während sie auf mich wartet, den Ferrari blank gewienert aus der Box rollen. Arroganter Lackaffe! Unterdessen bezahle ich im Kassenhaus wobei auch die 25 Euronen von Goldie draufgehen. Dann bin ich wieder da und einladend bietet mir Kalla ihre weit geöffnete Tür dar. So, anschnallen, Motor anlassen und Gang einlegen, Kalla rollt nach vorn, an dem Ferrari vorbei. Idiot, mediterraner! Und mit einem schrillen Quietschen lasst sie ihre Hinterräder verächtlich durchdrehen. Ich trete auf die Bremse, so wie sie es gar nicht mag. Im Grunde verstehe ich sie.
Wir biegen auf die Hauptstraße ein. Kalla ist verärgert. Entweder über meine Behandlung, oder aber über den hochnäsigen Italiener, denn sie liegt mir nicht sonderlich gehorsam in der Hand. Immer wieder versucht sie ihren Kopf durchzusetzen, etwa so, wie eine Vollblutstute, die wegen schlechten Wetters lange im Stall stehen musste und nun den Sinn nach herumtoben hat. Und "Hafer" hat sie ja schließlich auch genug bekommen.
Einen Augenblick passe ich nicht auf und Kalla nutzt die Kraft ihrer Pferdestärken. Bevor ich so richtig mitbekomme dass sie mich schon wieder ausgetrixt hat, ein roter Blitz vom Straßenrand, aus einen dort abgestellten Kombi. Auch Kalla bemerkt ihn und freut sich über die freundliche Geste. Aha, ein deutsches Fabrikat, schießt es ihr durch den Sinn. Und nicht so ein blöder, unnahbarer Spaghettibolide...
Fünfzig Meter weiter bemerkt sie mit Genugtuung und Freude, dass sich einige nette Männer im Livree, wohl um sie zu begrüßen, am Straßenrand aufgestellt haben und ihr freundlich winkend, einen Platz anbieten. Ich fahre rechts heran und zücke meine Fahrerlaubnis - und mein Portemonnaie.
Herzliche Grüße und vielen Dank! (Auch von Kalla!)
Ulrich