Bild links: Inv.Nr. 1978/17/ Brosche/ Gold, Silber, Granulation, Chrysoprase/ Reinhold Bothner/ 1977/ © Schmuckmuseum Pforzheim/ Foto Winfried Reinhardt ; Bild mitte: Nr. 544/ Brosche/ Gold, Diamant, Rubin/ Reinhold Reiling/ 1967/ © Schmuckmuseum Pforzheim/ Foto Rüdiger Flöter ; Bild rechts: 150/ Fingerring/ Gold, Smaragd/ Theodor Wende/ Pforzheim, ca. 1935/ © Schmuckmuseum Pforzheim/ Foto Günther Meyer
Schmuckmuseum Pforzheim1912 wurde die erste der beiden Traditionszünfte für Goldschmiede in Pforzheim gegründet, die nach dem I. Weltkrieg unter dem Namen »Turm Pforzheim« firmierte.
Ihr Ziel war es, sich sowohl in künstlerischer wie handwerklicher Beziehung gegenseitig zu unterstützen. Darum ging es auch in der einige Jahre jüngeren »Zunft Jungkunst«. Von den Mitgliedern beider gingen wichtige Impulse für die künstlerische, aber auch die industrieorientierte Schmuckgestaltung aus, Künstlerpersönlichkeiten wie Theodor Wende oder Reinhold Reiling waren aktive Mitglieder. 2003 gingen die zwei Vereinigungen in der »Zunft Pforzheim Schmuck + Gestaltung« auf. »Heute ist es uns ein Anliegen, die Raritäten dieser beiden Zunftarchive aufzubereiten und somit ein Stück Pforzheimer Geschichte lebendig werden zu lassen«, schildert Obermeister Rolf Linder. Aus Anlass des hundertjährigen Bestehens gibt die Ausstellung einen Rückblick und widmet sich zugleich den heutigen Mitgliedern und ihren Werken. Gezeigt werden rund 200 Objekte und Zeichnungen von 50 Mitgliedern.
Weiterbildung für den Beruf
Beide Vereinigungen hatten dieselben Bestrebungen: Im freundschaftlichen Kreis wollte man sich für den Beruf weiterbilden. Bei den Zunfttreffen hörte man gemeinsam Vorträge, sah Filmvorführungen oder unternahm Ausstellungsbesuche und Studienfahrten. Man diskutierte über Techniken und neue Strömungen in der Kunst. Den gleichen Idealen und Zielen verpflichtet, freundschaftlich und in gesunder Konkurrenz, präsentierten sich die beiden Zünfte der Öffentlichkeit mit Ausstellungen und der erfolgreichen Teilnahme an zahlreichen Wettbewerben, auch außerhalb Pforzheims.
Wende und Kassube als erste künstlerische Leiter
Die Zunft Jungkunst konnte 1926 Theodor Wende als künstlerischen Leiter und
Ehrenobermeister gewinnen. Er unterrichtete seit 1921 an der Großherzoglich-Badischen Kunstgewerbeschule, war bis 1951 Professor und arbeitete bis zu seinem Tod 1986 mit und für die Zunft. Er gilt als Vorbild der individuell arbeitenden Goldschmiede des 20. Jahrhunderts.
Die Zunft Turm hatte seit 1927 den Bildhauer Max Kassube, seit 1926 ebenfalls Professor an der Kunstgewerbeschule, als künstlerischen Berater und Ehrenobermeister bis zu dessen Tod beim Angriff auf Pforzheim 1945. Unter seiner Leitung begann ein neues Kapitel. Manche zur Bürde gewordene Tradition wurde über Bord geworfen, es gab einen lebendigen Austausch mit den bildenden Künsten, die Vereinigung wurde moderner.
Neuanfang nach 1945/Goetzell und Reiling als Ehrenobermeister der Zunft Turm
Der Zweite Weltkrieg brachte das Zunftgeschehen zum Erliegen. Die Zunftwerkstätten und viele Arbeiten wurden zerstört, die nach dem Krieg Heimgekehrten fanden Pforzheim in Trümmern vor. So waren die ersten Zunftabende Treffpunkt für die Zurückgekommenen, die wieder in ihren Berufen arbeiten und die Stadt und ihre Betriebe aufbauen wollten.
Die Zunft Turm hatte von 1949 bis 1970 den Maler Amandus Goetzell als künstlerischen Leiter und Ehrenobermeister, von dem viele wertvolle Impulse ausgingen. Auch er war Professor an der Kunstgewerbeschule und gestaltete bereits seit den 20er Jahren insbesondere Metalloberflächen mit Hilfe von Maschinen.
Der dritte Ehrenobermeister der Zunft Turm war von 1973 bis 1983 der Wende-Schüler Reinhold Reiling, der zu den namhaftesten Schmuckkünstlern seiner Zeit gehörte. Der Bildhauerei sehr zugetan, war er empfindsam für die Strömungen der Kunst jener Zeit, von denen er viele Anregungen in die Schmuckgestaltung übertrug. Er war von 1969 bis 1983 Professor für Schmuckgestaltung an der Kunst + Werkschule, seit 1971 Fachhochschule für Gestaltung.
Die Zünftler arbeiteten nach dem Motto Theodor Wendes: »Über den Alltag hinaus wollt ihr euer Werk gestalten«. Was in der Zunft entstand, sollte frei sein vom Verkaufszwang, sollte etwas Besonderes sein. Hier fanden die Mitglieder neben der Arbeit in der Industrie ein Umfeld, in dem sie im Gegensatz zur dortigen Anonymität eigenständig gestalterisch arbeiten konnten. Mit dem Bau des Reuchlinhauses bekamen die Zünfte dort eigene Werkstätten. Mitglieder präsentierten ihre Arbeiten in vielen Ausstellungen und waren bei zahlreichen Wettbewerben unter den Preisträgern, wie z.B. dem Edelsteinpreis Idar-Oberstein, dem Friedrich-Wilhelm-Müller-Wettbewerb, dem internationalen Perlwettbewerb in Tokyo oder dem De-Beers–Diamond-Award. Seit Umbau und Neueröffnung des Schmuckmuseums Pforzheim 2006 engagiert sich die Zunft bei museumspädagogischen Aktivitäten oder Veranstaltungen wie dem Internationalen Museumstag oder der Pforzheimer Kulturnacht. Außerdem ist die seitdem präsentierte ethnografische Sammlung Dauerleihgabe eines Zunftmitglieds. Ob mit neuen Impulsen in der Industrie oder individuell im Rahmen ihrer Vereinigung haben die Zünftler daran mitgearbeitet, den Ruf Pforzheims als Goldstadt zu festigen.
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Öffnungszeiten des Schmuckmuseums Pforzheim Di bis So und feiertags 10 bis 17 Uhr (außer Hl. Abend und Silvester) | Eintritt in die Dauerausstellung 3,00 €, ermäßigt 1,50 €, z.B. mit der SWR2-Kulturkarte, bis 14 Jahre und mit Oberrheinischem Museumspass frei | Gruppenführungen auf Anfrage | Öffentliche Führung durch die Dauerausstellung sonntags 15 Uhr, 5 €, ermäßigt 3,50 € | Partner von Kulturland Baden-Württemberg • Medien- bzw. Kulturpartner des Schmuckmuseums sind Pforzheimer Zeitung und SWR2 | Weitere Informationen unter
www.schmuckmuseum.de Archivbeitrag 29.09.2012