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Vertigo: Berliner Uhren für Mechanik-Einsteiger

Eine Uhr vor allem für junge Großstadtmenschen sollte es sein. Auf jeden Fall mechanisch und obendrein noch bezahlbar. Tobias Wiethoff hat diese Idee umgesetzt und die Marke Vertigo Berlin gegründet. Wer bei ihm einen Zeitmesser bestellt, kann dank eines raffinierten Konfigurators sein individuelles Uhrendesign komponieren. Ganz nach der Devise: "Dreh Dein Ding".

Für Zeitgenossen mit ausgeprägter Resistenz gegen das nicht nur in Europa grassierende Uhren-Virus mag es immer rätselhaft bleiben, dass ein Mensch mehrere Dutzend Armbanduhren besitzen kann - und noch dazu ständig auf der Suche nach weiteren Modellen ist. Man kann diese immunisierte Spezies aus Sicht eines Sammlers gleichzeitig beneiden und bedauern. Beneiden, weil sie mit ihrem konsequenten Verzicht auf Dauer viel Geld sparen. Bedauern, weil sie nie erfahren werden, welche Faszination der Uhren-Leidenschaft innewohnt.

Die Geschichten der passionierten Uhrenliebhaber klingen alle sehr ähnlich. Doch nimmt es mit ihnen oft ein ganz unterschiedliches Ende. Anfangs zeigte der gelernte Journalist Tobias Wiethoff nur eine mäßig ausgeprägte Symptomatik: Schon im jugendlichen Alter interessierte er sich für Uhren. Seine einfache Kienzle-Uhr liebte er zunächst über alles. Später schenkte ihm sein Vater, der selbst einen edlen IWC-Zeitmesser sein Eigen nannte, eine Certina-Uhr, von der Tobias Wiethoff heute noch begeistert ist. Doch bald schon nahm sein Uhren-Fieber einen progressiven Verlauf: "Beinahe monatlich kam ein neuer Zeitmesser hinzu. Natürlich waren das nicht immer Uhren aus der gehobenen Preiskategorie. So etwas kann sich ja auf Dauer keiner leisten", berichtet Wiethoff über die prägende Phase seines Sammler-Lebens.

In diesem Stadium gibt es drei Möglichkeiten. Entweder, es kommen ständig weitere Uhren hinzu, über die sich nach vielen Jahren dann die Erben freuen (oder auch nicht), oder aber der Sammler kehrt nach seiner Sturm-und Drang-Periode wieder zu einem pragmatischen Umgang mit seiner Leidenschaft zurück. Dritte Möglichkeit: Er setzt dem Ganzen die Krone auf und gründet seine eigene Uhrenmarke.

Tobias Wiethoff hat sich für die letztgenannte Variante entschieden: Vor über drei Jahren hob er die junge, frische Uhrenmarke Vertigo Berlin aus der Taufe. Unternehmer ist er sozusagen im Nebenerwerb. Nach wie vor ist Wiethoff nämlich hauptberuflich in der Medienbranche tätig. Wir treffen ihn in einem Café am Checkpoint Charlie und lassen uns seine Geschäftsidee erläutern.

Inspiriert vom Bauhaus-Stil

"Als Uhren-Liebhaber bin ich natürlich häufig in den einschlägigen Internetforen unterwegs", berichtet der Jungunternehmer. Irgendwann reifte in ihm die Idee, eine eigene Uhrenmarke zu kreieren, die etwas anders sein sollte als die gängigen Angebote. Quarz-Uhren kamen für ihn nicht in Frage. Es musste robuste Mechanik sein, aber zu bezahlbaren Preisen. Überflüssigen Schnickschnack mag Wiethoff nicht. Er entschied sich für ein strenges Grunddesign, angelehnt an die Bauhaus-Prinzipien. "Es sollte eine mechanische, individuelle und preiswerte Uhr für Großstadtmenschen und so genannten Hipster werden". Eine Berliner Uhr also, die nicht arm macht, aber sexy ist.

Zunächst bot Wiethoff vier Grundmodelle mit verschiedenen Zifferblattfarben und ausschließlich matten Gehäusen an. Clubmaster nannte er seine Kreationen. Günstig waren die Uhren der ersten Stunde, aber noch nicht wirklich individuell. Das änderte sich, als der Berliner seinen Uhren-Konfigurator ins Netz stellte. Unter www.vertigo-die-uhr.de kann nun jeder seine ganz eigene Uhr zusammenstellen. Man hat die Wahl zwischen drei Gehäusevarianten (Stahl matt, poliert oder vergoldet), jeweils fünf verschiedenen Zifferblatt- und Zeigerfarben sowie zwischen drei Lederbändern in den Farben schwarz, hell und dunkel. Ist der Spieltrieb erst einmal geweckt, bastelt mancher schon mal über eine Stunde an ganz unterschiedlichen Varianten (inspiriert vom Claim: "Drei Dein Ding"). Hat sich der Kunde dann entschieden - was angesichts der Kombinationsmöglichkeiten gar nicht so einfach ist - bestellt er seine Kreation und bekommt die Uhr in der Regel nach einer Woche zugeschickt.

Zusammengebaut werden die Club-Master-Modelle in einer Uhrmacherwerkstatt in Berlin-Pankow. Wiethoff: "Wir lassen die Uhren nicht einfach im Ausland produzieren und unseren Markennamen aufdrucken." Die Zeitmesser aus der Hauptstadt sollen schon eine Berliner "Geburtsurkunde" haben. Dennoch ist die Clubmaster für 225 Euro vergleichsweise preiswert. Möglich ist das nur, weil im Inneren ein chinesisches Handaufzugswerk (Hangzhou PTS 9312) tickt, ein Nachbau des klassischen Schweizer Unitas Taschenuhrwerks. "Wir kommunizieren die Herkunft der Werke offen und ehrlich. Und wir sind der Überzeugung, dass die Chinesen inzwischen eine gute Qualität liefern", sagt Wiethoff, der selbst eine Clubmaster mit Hangzhou-Werk trägt. Wer aber dennoch ein Schweizer Werk vorzieht, kann sich seine Vertigo-Uhr auch mit dem Handaufzugskaliber Eta 6498-1 liefern lassen - gegen einen Aufpreis von aktuell 75 Euro.

Individueller Uhren-Konfigurator

Ihr günstiger Preis macht die Vertigo Berlin Clubmaster zu einem idealen Einstiegsmodell in die Welt mechanischer Uhren. Oder aber, sie ermöglicht Facettenreichtum. Einige Kunden hätten gleich mehrere Modelle in unterschiedlichen Farben bestellt - mal mit chinesischen, mal mit schweizerischen Werken. Manche Kunden beweisen bei der Zusammenstellung ihrer Clubmaster soviel Stil und Geschmack, dass Tobias Wiethoff oft begeistert ist. Hat aber ein Kunde auch schon mal Mut zur Hässlichkeit bewiesen? Wiethoff denkt nach, schließlich sollte keine Clubmaster hässlich sein. Aber: "Rote Zeiger sind schon sehr speziell. Doch manche Kunden lieben sie." Und wenn später Zeiger oder Zifferblatt nicht mehr gefallen, kann man sie für einen überschaubaren Preis austauschen lassen.

Wiethoff ist vom Potenzial seiner Marke überzeugt. Nach entsprechender Pressearbeit hat er im ersten Jahr schon rund 200 Uhren verkauft. Allesamt an Hipster? "Nein, die Kunden kommen inzwischen aus allen Altersgruppen." Das Wachstum des kleinen Unternehmens ist einstweilen noch auf geradezu natürliche Weise begrenzt - ein Unternehmer im Nebenerwerb und ein Uhrmacher in Pankow können keine Riesen-Stückzahlen realisieren. Aber vielleicht findet Wiethoff doch noch den Dreh.

Immerhin steht der Name Vertigo schon heute für eine Innovation, die längst Eingang in die Fachliteratur gefunden hat. Kein Geringerer als Alfred Hitchcock war es, der in seinem Filmklassiker Vertigo aus dem Jahr 1958 erstmals den gleichnamigen Aufnahme-Effekt einsetzen. Die Kombination von Zoom und Kamerafahrt lässt beim Zuschauer den Eindruck von Drehschwindel entstehen. Seither heißt diese optische Täuschung "Vertigo-Effekt". Wer allerdings die Zeiger einer Vertigo Clubmaster verfolgt, die ganz gemächlich ihre Kreise ziehen, hat ähnliche Symptome nicht zu befürchten.

Michael Brückner

Bilder: Vertigo Berlin

Archivbeitrag 21.07.2014
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