Uhren kommen aus der Schweiz, aus Glashütte, dem Schwarzwald oder aus Pforzheim. Aber aus Reykjavik? In einer der kleinsten Uhrenmanufakturen der Welt entstehen auf Island außergewöhnliche Zeitmesser - teilweise mit echter Vulkanasche auf dem Zifferblatt. Die Uhrmacher des Familienbetriebs JS Watch haben es geschafft, in weniger als zehn Jahren einen kleinen, aber feinen internationalen Fanclub zu überzeugen.
Selbst für Experten mit langjähriger Erfahrung war dieser Kundenwunsch eine exotische Herausforderung. "Eine kleine Uhrenmanufaktur auf Island wollte bei der Gestaltung der Zifferblätter unbedingt Vulkanasche einbinden", erinnert sich Andreas Reisch. Der Geschäftsführer der Cador Zifferblatt GmbH in Eimeldingen, die einige der ersten Adressen der Uhrenbranche zu ihren Kunden zählt, ist stolz, auch diese Aufgabe gelöst zu haben - für eine Uhrenmanufaktur, von der selbst viele Freunde edler Zeitmesser gar nicht wissen, dass es sie gibt.
Auftraggeber war die Firma JS Watch in Reykjavik, die nicht nur eine der kleinsten, sondern vermutlich auch die nördlichste Uhrenmanufaktur der Welt sein dürfte. Aber immerhin, der Familienbetrieb in der isländischen Hauptstadt, die nicht größer ist als Saarbrücken, produziert pro Jahr 250 bis 300 Zeitmesser, die im Nu an Uhrenfreunde in aller Welt verkauft werden. Darunter sollen sich auch mehrere sehr prominente Zeitgenossen befinden.
Wohl keiner denkt an Uhren, wenn die Rede auf Island kommt. Schlagzeilen machte die 103.000 Quadratkilometer umfassende größte Vulkaninsel der Erde in den vergangenen Jahren vor allem aus zwei Gründen, deren Eruptionen in beiden Fällen weitreichend waren. Im April 2010 hatte der Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen Eyjafjöllajökull eine gigantische Aschewolke kilometerweit in den Himmel gespuckt. Weil sich in dieser Wolke auch scharfkantige Teile befanden, musste der Flugverkehr in Europa über viele Tage ruhen. Tausende von Passagieren verloren viel Zeit. Dafür können sie nun einen Zeitmesser mit Vulkanasche am Handgelenk tragen - sozusagen als Revanche. Die kleine Firma JS Watch erkannte die Marketing-Chance sofort und brachte mit der Frisland God eine Dreizeiger-Uhr mit einem Vulkanasche-Zifferblatt auf den Markt. Das Zifferblatt ist - wie erwähnt - "made in Germany". Wer sich für diese exotische Uhr entscheidet, muss 3850 Euro investieren.
Noch wesentlich gravierendere Folgen als die Vulkan-Aktivität hatte der Ausbruch der isländischen Finanz- und Wirtschaftskrise. Am 6. Oktober 2008 unterbrachen die Fernsehsender ihr Programm für eine Ansprache des damaligen Regierungschefs Geir Haarde, der im schwarzen Anzug vor die Mikrofone und Kameras trat. Was er zu sagen hatte, erschütterte die kleine Nation im hohen Norden: "Es besteht die Gefahr, dass unsere Volkswirtschaft dem Abwärtstrend nicht entkommt und unsere Nation am Ende bankrott geht. Gott schütze Island". Ob es letztlich Gott war, der die Insel schützte, ob die Hilfen der skandinavischen Nachbarländer und Polens dem Land wirtschaftlich wieder auf die Beine halfen, oder ob es der Fleiß und die Disziplin der Isländer waren (wahrscheinlich alles zusammen) - jedenfalls hat sich Island erstaunlich schnell erholt und gilt den anderen Krisenstaaten heute als Vorbild.
Doch was hat der Beinahe-Bankrott mit der kleinen Uhrenmanufaktur in Reykjavik zu tun? Mehr als man im ersten Moment vermuten könnte. Denn dem finanziellen Absturz der Insel war ein beispielloser Wirtschaftsboom vorausgegangen. Die reichlich provinziell anmutende Hauptstadt stieg zu einem Finanzplatz auf, wo sogar ansonsten eher vorsichtige deutsche Sparer ihr Geld anlegten. Auf Island wurde in den Jahren nach der Jahrtausendwende richtig gut verdient - die Menschen konnten sich etwas leisten und waren bereit, gern mal tiefer in die Taschen zu greifen. Zum Beispiel, um sich eine Luxusuhr zu gönnen.
Da hatte der isländische Uhrmacher Gilbert Gudjonsson eine Idee, die viele für absolut verrückt hielten: Gemeinsam mit seinem Sohn Sigurdur Gilbertsson, der ebenfalls vom Uhrenvirus infiziert ist und im Laufe der Jahre eine kleine Sammlung an hochwertigen Zeitmessern aufgebaut hat, wollte er original isländische Uhren bauen. Und einmal mehr zeigte sich: Viele gute Geschäftsideen klingen am Anfang verrückt. Sohn Sigurdur und seine beiden Partner Julius Heidarsson und Grimkell Sigurthorsson gründeten die Marke JS Watch und lancierten im Jahr 2005 die erste Modelllinie. Der Erfolg überraschte sogar die optimistischen Gründer: Die ersten Uhren waren innerhalb von nur sechs Monaten komplett ausverkauft. Dann aber stürze Island in die Wirtschaftskrise, die Landeswährung kollabierte, und mit dem viel beachteten Wohlstand der Insulaner war es erst einmal vorbei.
Gleichzeitig kamen aber immer mehr Touristen auf die Insel, die von den nun etwas günstigeren Preisen profitieren wollten. Mancher von ihnen investierte in eine Uhr der Marke JS Watch - und genoss zu Hause das ungläubige Staunen anderer Uhrenfreaks, die noch nie etwas von isländischen Uhren gehört hatten. Dank der starken Auslandsnachfrage konnte sich die kleine Marke recht gut am Markt behaupten. Sie steht heute besser da denn je.
Doch welche Modelle haben die Uhrmacher aus Reykjavik außer der Frisland God mit dem besonderen Vulkanasche-Zifferblatt noch zu bieten? Da wäre zunächst die Frisland mit normalem Zifferblatt. Ebenfalls eine Dreizeiger-Uhr - mit Indexen und einer markanten "12" und "6" auf dem Zifferblatt. Für diese Uhr mit leichtem Understatement-Charakter muss man aktuell 2250 Euro zahlen.
Begonnen hat die kleine Marke mit der Serie "101", benannt nach der Postleitzahl der Altstadt von Reykjavik. Im Inneren des Zeitmessers tickt mit dem Kaliber 2824 bewährte Eta-Hausmannskost. Mittlerweile bezieht JS Watch allerdings auch Werke von Soprod (A10). Nicht zu übersehen ist die Affinität der isländischen Uhrmacher zur Luftfahrt. Immerhin ist mit Julius Heidarsson einer der Manufaktur-Gründer Pilot. Da lag es nahe, auch Fliegermodelle in die Kollektion aufzunehmen. Die JS Watch-Reihe "1919" nimmt Bezug auf das Jahr, in dem in Island die Luftfahrt begann.
Neben der Vulkan-Uhr ist der SIF North Atlantic Rescue Timer (NART) ein Highlight in der Kollektion der isländischen Uhrmacher. Die sehr robuste, bis 1000 Meter wasserdichte Uhr im Flieger-Look wurde für die Hubschrauberpiloten der isländischen Küstenwache konstruiert. Diese Uhr kostet 2450 Euro, mit einem Metallarmband 250 Euro mehr. Und natürlich darf ein Chronograph in der Kollektion nicht fehlen. Der "Islandus Chronograph" wird vom klassischen Valjoux 7750-Kaliber angetrieben, das in einem Gehäuse mit markanten 44 Millimetern Durchmesser tickt. Mit 3735 Euro erscheint der Preis für einen in kleiner Auflage und in Handarbeit hergestellten Chronographen zwar nicht eben als Schnäppchen, aber eben noch akzeptabel. Deutlich günstiger ist die "Islandus" als Dreizeiger-Uhr mit Datumsanzeige (2250 Euro).
Natürlich bekommt man für diese Preise auch Uhren von bekannten Marken aus der Schweiz. Der Mehrwert von JS Watch-Uhren besteht daher wohl eher in dem Bewusstsein, zu einem kleinen Kreis von Connaisseurs zu gehören, für die nicht allein ein international bekannter Markenname zählt.
Michael Brückner
Bilder: JS Watch