Manche Hersteller setzen auf Glamour, verpflichten Hollywood-Größen, um für ihre Uhren zu werben. Andere wollen ihre Marke sportiv aufladen und gewinnen Fußballspieler, Golf-Koryphäen oder Formel-1-Piloten als imageträchtige Partner im Kampf um die Gunst der Kunden. Thilo Mühle hingegen vertraut auf andere Vorbilder. Der Chef des Traditionsbetriebs Mühle Nautische Instrumente in Glashütte kooperiert mit Lebensrettern.
Voller Hochachtung spricht er von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger: „Sie verfügt über die modernsten Ausrüstungsgegenstände, finanziert sich aber ausschließlich aus Spenden“, weiß der Geschäftsführer des sächsischen Herstellers von Armbanduhren, nautischen Instrumenten und Schiffsuhrensystemen.
Um ihre Einsätze erfolgreich meistern zu können, brauchen die Retter verlässliches Material und ebenso präzise wie widerstandsfähige Instrumente. Das beginnt mit den Seenotkreuzern und reicht bis hin zu vermeintlichen Kleinigkeiten wie Armbanduhren. „Wir wollten eine Uhr für die Vormänner der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger entwickeln“, erzählt Thilo Mühe die Entstehungsgeschichte eines der Bestseller des Glashütter Uhrenherstellers. Die Vormänner – also die Kapitäne der Seenotkreuzer – hatten klare Vorstellungen von einer solchen Uhr: Sie sollte völlig ohne Firlefanz auskommen, extrem robust und gut ablesbar sein, und natürlich musste sie dem Seewasser trotzen. Fünf Jahre wurde die nach diesen Vorgaben entwickelte Uhr von den Vormännern getestet, anschließend kam sie als S.A.R. Rescue-Timer auf den Markt.
Eine puristisch anmutende Dreizeiger-Uhr mit schwarzem Zifferblatt und Superluminova-Leuchtindexen sowie Leuchtzeigern und einem vier Millimeter dicken Saphirglas. Und während andere Hersteller stolz auf ihre Schwanenhals-Feinregulierung verweisen, baut Mühle in den S.A.R. Rescue-Timer – wie im Übrigen in alle Zeitmesser dieser Marke – die Eigenentwicklung Spechthalsregulierung ein, die sich durch besondere Widerstandsfähigkeit auszeichnet. Angetrieben wird der S.A.R. Rescue-Timer von einer Mühle-Version des Basiskalibers ETA 2824-2.
Der Erfolg dieser für knapp 1.400 Euro (mit Kautschukband) erhältlichen Seenotkreuzer-Uhr animierte natürlich dazu, das Rad weiterzudrehen. Und so präsentierte das Unternehmen im Jahr 2010 den oben gezeigten S.A.R. Flieger-Chronographen, der in Kooperation mit den Rettungsfliegern der deutschen Marine entwickelt worden war. Als „Motor“ dieses markanten Zeitmessers dient das Mühle-Kaliber MU 9408 auf der Basis des bekannten Eta-Valjoux-Werkes 7750.
Eine ganz andere Story erzählt der Global Timer von Mühle. Eine Geschichte, bei der man sich unwillkürlich an Jules Vernes Roman Reise um die Welt in achtzig Tagen erinnert fühlt. Allerdings lässt sich der Planet Erde im Zeitalter der Globalisierung sehr viel schneller umkreisen. Um genau zu sein: in 66 Stunden. So lange braucht nämlich eine Frachtmaschine vom Typ MD-11 für ihre Weltumrundung. „Die Idee wurde uns von einem Piloten von Lufthansa Cargo unterbreitet, der ein leidenschaftlicher Uhrenliebhaber ist.“ Zusammen mit weiteren MD-11-Piloten entwickelte Mühle eine Weltzeituhr der besonderen Art. Der Global Timer verfügt über eine innenliegende Drehlünette mit verschiedenen Weltzeiten und den Zeiten der Flughäfen, die Lufthansa Cargo anfliegt. Die Ortszeit und die UTC-Zeit sind mit Hilfe des 24-Stundenzeigers ablesbar. Das allein wäre aber noch keine runde Story. Tatsächlich jedoch hat jeder Global Timer schon eine Weltreise hinter sich, bevor er ans Handgelenk gelegt wird. Jede dieser auf 1.111 Exemplare limitierten Uhren umkreiste an Bord einer MD-11 einmal die Erde – ausdrücklich per Zertifikat bestätigt vom Piloten.
Schon mehrfach in ihrer bis ins Jahr 1869 zurückreichenden Firmenhistorie arbeitete das Glashütter Unternehmen mit namhaften Partnern zusammen. „Unlängst wurde ein altes Motorrad von BMW versteigert. Aus der Zeitung erfuhren wir, dass dieses Motorrad mit einem Tachometer aus Glashütte ausgerüstet war. Wir fragten nach – und wurden in unserer Meinung bestätigt, dass es sich um einen Tachometer aus unserem Hause handelte. Das heißt, wir rüsteten schon vor mehr als einem Jahrhundert hochwertige Motorräder mit Präzisionsinstrumenten aus“, freut sich Thilo Mühle.
Das Unternehmen selbst wurde vor über 140 Jahren von Robert Mühle gegründet, der sich nach seiner Ausbildung beim angesehenen Uhrenhersteller Moritz Grossmann in Glashütte selbstständig machte und nach 1869 Präzisionsmessgeräte für die heimische Uhrenindustrie und die Uhrmacherschule in Glashütte fertigte. Dabei kam ihm zustatten, dass der Hersteller Lange und nach ihm alle anderen führenden Betriebe der Uhrenindustrie vom damals üblichen Pariser Linienmaß, wie man es heute noch von den Werkebeschreibungen alter Taschenuhren kennt, auf das metrische Maß umstellten. Das bedeutete aber auch: Die Unternehmen brauchten neue Messgeräte und Instrumente. Geliefert wurden sie von „Rob. Mühle & Sohn“.
Die hohe Qualität der Instrumente aus dem Hause Mühle sprach sich bald in anderen Branchen herum. In den 1920er Jahren – das Unternehmen wurde inzwischen von den Söhnen Paul, Max und Alfred Mühle geführt – stattete der Glashütter Betrieb bekannte Automobilmarken wie Horch, Maybach und DKW mit Autouhren sowie Geschwindigkeits- und Drehzahlmessern aus. Überdies entstanden bei Mühle Räder und Triebe sowie Zähl- und Uhrwerke für technische und wissenschaftliche Zwecke.
Die Erfolgsgeschichte des Familienbetriebs endete dann vorübergehend nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Enteignung und Demontage – ein Schicksal, das Mühle mit vielen anderen Glashütter Unternehmen teilte. Doch schon im Dezember 1945 hob Hans Mühle als Vertreter der dritten Generation ein neues Unternehmen aus der Taufe. Unter dem Namen „Hans Mühle“ produzierte der Betrieb zunächst eher banal anmutende Produkte, die im damaligen Alltag aber sehr gefragt waren.
Hans Mühle starb im Jahr 1970, sein Sohn Hans-Jürgen führte das Unternehmen trotz widriger politischer Umstände in der damaligen DDR fort. Doch schon zwei Jahre später wurde auch dieser zweite von der Familie Mühle gegründete Betrieb verstaatlicht und anschließend in die VEB Glashütter Uhrenbetriebe integriert.
„Immerhin konnte mein Vater weiter in seinem ehemaligen Unternehmen als Betriebsleiter arbeiten“, berichtet Thilo Mühle aus der Firmengeschichte. Nach der politischen Wende in Ostdeutschland und der Wiedervereinigung wurden die VEB Glashütter Uhrenbetriebe in eine GmbH umgewandelt. Gemeinsam mit vier Kollegen übernahm Hans-Jürgen Mühle die Geschäftsleitung – zuständig für den Gerätesektor, zu dem unter anderem Schiffschronometer gehörten. Nachdem vorübergehend ein ausländischer Investor die Glashütter Uhrenbetriebe übernommen hatte, trennten sich das Unternehmen und Hans-Jürgen Mühle. Doch der damals 52jährige, der im Laufe der Jahre viel Know-how bei der Entwicklung und Produktion von nautischen Instrumenten und Armbanduhren gesammelt hatte, dachte gar nicht daran, sich in den vorgezogenen Ruhestand zu verabschieden. Im Jahr 1994 gründete er die Firma „Mühle-Glashütte GmbH nautische Instrumente und Feinmechanik“ und setzte damit die zweimal zwangsweise unterbrochene Familientradition fort. Das neue Unternehmen produzierte fortan zunächst Marinechronometer nach Glashütter Tradition mit dezentraler Sekunde und Schiffsuhrenanlagen. Zwei Jahre später stellte der Betrieb dann seine eigene Armbanduhr unter dem Namen „Nautische Instrumente Mühle-Glashütte“ vor. „Es handelte sich um eine sehr spezielle Taucheruhr, die wir lange im Programm hatten“, erinnert sich Thilo Mühle, der im Jahr 2000 in das Familienunternehmen eintrat und vier Jahre später zusammen mit seinem Vater die Geschäftsleitung übernahm. Der Name Mühle war bei den Abnehmern nautischer Instrumente ebenso wie bei Freunden Glashütter Zeitmesser sehr schnell eine bekannte und geschätzte Adresse.
Mittlerweile setzt Thilo Mühle die lange Tradition des Familienunternehmens fort. „Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir Schweizer Werke in unsere Uhren einbauen. Gleichzeitig produzieren wir aber viele Eigenteile“, unterstreicht Thilo Mühle. Dazu gehört neben der patentierten Spechthalsregulierung der typische Mühle-Rotor mit einem speziellen Schwermetallhalbreifen, der die Erdanziehungskraft optimal nutzt. Die Mühle-Chronographen werden mit einer neu entwickelten Dreiviertelplatine ausgestattet. „So bleibt Glashütter Tradition lebendig“, sagt Thilo Mühle. Darüber hinaus werden die aus der Schweiz stammenden Basiswerke „sinnvoll veredelt“, wie es heißt. „Sinnvoll“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass damit nicht nur optische Effekte, sondern gleichermaßen eine funktionale Optimierung angestrebt wird.
Wer sich eine Armbanduhr von Mühle gönnen möchte, kann unter sehr unterschiedlichen Produktlinien wählen. Die Preise reichen von 760 Euro für die Terrasport II im Fliegerdesign bis zu knapp 3.000 Euro für den Teutonia II Quadrant Chronographen. „Wir wollen Uhren mit hohem Nutzwert herstellen, aber sie sollen zugleich schön sein“, beschreibt Thilo Mühle die Philosophie des Hauses.
Unter Uhrenfreunden hoch im Kurs stehen nach wie vor die nautischen Armbanduhren, zu denen neben den eingangs erwähnten Modellen S.A.R. Rescue-Timer und S.A.R. Flieger-Chronograph die strapazierfähige Outdoor-Uhr Marinus und die Taucheruhren der Rasmus-Reihe gehören, die in Zusammenarbeit mit der deutschen Nationalmannschaft der Apnoe-Taucher entwickelt wurden.
Einen starken Kontrast hierzu setzen die klassischen Zeitmesser der Marke. Sie folgen der Maxime: „Luxus mit Bodenhaftung“. In dieser Linie sind die Modelle Germanika I bis IV zu finden (vom Chronographen über eine Automatikuhr mit zweiter Zeitzone bis hin zur eleganten Dreizeigeruhr), ferner die unterschiedlichen Varianten der im Vergleich zur Germanika etwas sportlicher anmutenden Teutonia einschließlich der Teutonia II Quadrant (mit und ohne Chronographenfunktion) sowie die Antaria-Modelle mit ihrer klaren, zeitlosen Eleganz. Liebhaber von sportlichen Instrumentenuhren haben die Wahl zwischen der markanten Terranaut I bis III, der erwähnten Terrasport I bis III im Fliegerdesign und dem 29er Chronographen. Komplettiert wird die Kollektion durch verschiedene Damenmodelle und limitierte Sondereditionen.
„Bei der Entwicklung und Gestaltung unserer Uhren folgen wir immer auch einem geradezu etwas philosophischen Ansatz“, erläutert Thilo Mühle. „Eigentlich produzieren wir Instrumente, die den Menschen deutlich machen, wie schnell die Zeit vergeht. Wir meinen, der Blick auf die Uhr sollte immer ein wenig Freude bereiten“. Vielleicht ist dies ja die Erklärung, weshalb passionierte Uhrenfreunde sehr häufig auf ihre Zeitmesser schauen.
Unser Tipp: Mehr über Mühle-Glashütte und über zahlreiche andere namhafte deutsche Hersteller von außergewöhnlichen Uhren (z.B. Dirk Dornblüth, Nivrel, Damasko, Sothis und Till Lottermann) lesen Sie im neuesten Uhrenbuch des Fachjournalisten Michael Brückner: Auf SpUHRENsuche – Zu Besuch in innovativen Manufakturen und Ateliers“, 150 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Hardcover, 18,90 €, Pro Business Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86805-804-8, zu beziehen in jeder Internetbuchhandlung, beim Verlag (www.pb-bookshop.de) oder direkt beim Autor (Redaktion.Brueckner@gmail.com).
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