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Fliegeruhren faszinieren nicht nur Piloten | Ein Mythos - und seine wahren Hintergründe

Dieter Delecate kennt seine Kunden: "Die meisten Fliegeruhren erheben sich nie in die Luft", sagt der Seniorchef des Uhrenherstellers Tutima. Und wenn, dann allenfalls am Handgelenk von Passagieren, die insgeheim gern Piloten wären. Es darf vermutet werden, dass auch die meisten Taucheruhren nur unter der Dusche oder bei einem plötzlichen Regenschauer mit Wasser in Berührung kommen. Als Rolex vor gut zwei Jahren die bis 3900 Meter Tiefe einsetzbare Deepsea lancierte, fragte sich mancher, ob je ein Käufer dieser Uhr so tief tauchen würde, um das Qualitätsversprechen des Genfer Herstellers zu testen.

Mehr noch als Taucheruhren sind aber speziell für Piloten konzipierte Zeitmesser seit vielen Jahrzehnten von einem geheimnisvollen Mythos umgeben. Sie erinnern an die Zeit, als das Fliegen noch einem Abenteuer gleichkam und sich die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten nicht auf Computer, Satellitennavigation und andere moderne Technik verlassen konnten, sondern auf präzise mechanische Instrumente angewiesen waren.

Die meisten Hersteller haben heute Fliegeruhren in ihrer Kollektion, wobei es sich allerdings meist um relativ einfache Zeitmesser im Flieger-Design handelt. Diese Uhren sind schon für ein paar hundert Euro zu haben. Wer freilich nach authentischen Fliegeruhren aus den 1930er und 1940er Jahren sucht, muss deutlich tiefer in die Tasche greifen. Das renommierte Auktionshaus Antiquorum bot im vergangenen September zum Beispiel eine Laco-Beobachtungsuhr für die Deutsche Luftwaffe zu einem Schätzpreis zwischen 3000 und 4000 Euro an. Der Mainzer Fliegeruhrenspezialist Peter-Jesko Buse hat aktuell eine guterhaltene und generalüberholte Laco-Beobachtungsuhr für 7800 Euro im Angebot. Diese Beobachtungsuhren - oft kurz B-Uhren genannt - wurden bei der Marine und der Luftwaffe eingesetzt. Mit ihrer Hilfe ermittelte man früher die aktuelle Position eines Schiffes oder Flugzeugs. Hierzu war eine sehr präzise und auf Reisen eben auch widerstandsfähige Uhr erforderlich.

Originale sind begehrt und teuer

Zeitgenössische Fliegeruhren sind heute zu deutlich günstigeren Preisen erhältlich, zum Beispiel von Aristo (lesen Sie hierzu auch unser Markenporträt in dieser Rubrik). Der Grund für diesen deutlichen Preisunterschied gegenüber den historischen Modellen ist einfach: Begehrt sind nämlich in erster Linie die Originale, also Uhren aus den 1930er und 1940er Jahren, die von den jeweiligen Armeen seinerzeit als Piloten-Zeitmesser zugelassen wurden. Davon zu unterscheiden ist die Replik, also die originalgetreue Wiedergabe des Originals. Darüber hinaus gibt es neue Fliegeruhren, die sich zwar am klassischen Design orientieren, aber nicht detailliert historischen Modellen nachgebaut wurden.

Wer sich für eine zeitgenössische Fliegeruhr entscheidet, hat die Qual der Wahl. Das Spektrum beginnt bei preiswerten russischen Poljot-Uhren, reicht über das mittlere Preissegment, wo zum Beispiel Fliegeruhren von Aristo, Sinn und Fortis angesiedelt sind, bis hin zu Zeitmessern der Luxusmarken wie Breitling, IWC und Breguet. Als erste Fliegeruhr galt übrigens die Santos von Cartier.

Was macht nun eine echte Fliegeruhr aus? Streng festgelegte Kriterien gibt es nicht, so ist zum Beispiel auch der Übergang zu Militäruhren fließend. Viele Modelle verfügen über eine drehbare Lünette zur Messung von Zwischenzeiten, wie etwa die Flieger-Chronographen von Tutima oder Hanhart. Die vom Flugpionier Charles Lindbergh entwickelte Longines Stundenwinkeluhr dient vor allem der Positionsbestimmung. Die Navitimer von Breitling verfügt über eine logarithmische Rechenscheibe, mit denen Flugdistanzen kalkuliert werden können. Besonders traditionsbewusste Freunde von Fliegeruhren bevorzugen Modelle mit Handaufzugswerken, allerdings werden die meisten Piloten-Zeitmesser inzwischen mit Automatikkalibern ausgestattet. Bei einfacheren Modellen kommen auch Quarzwerke zum Einsatz.

So sind es vorrangig optische Merkmale, die eine Fliegeruhr ausmachen. Viele gleichen den Instrumenten, die früher in die Armaturentafeln der Flugzeuge eingebaut wurden. Die Uhrengehäuse weisen einen großen Durchmesser auf, das Zifferblatt ist schwarz, die Ziffern beziehungsweise Indexe sind weiß, um einen optimalen Kontrast zu erreichen. Ziffern, Indexe und Zeiger sind üblicherweise mit Leuchtfarben beschichtet, um die Zeit auch bei Dunkelheit präzise ablesen zu können. Anstelle der "12" befindet sich bei vielen Fliegeruhren ein Dreieck. Charakteristisch für diese Zeitmesser sind zudem besonders große und griffige Kronen. Bis heute führen Pilotenuhren des Schweizer Herstellers Oris daher den Namen "Big Crown", also "große Krone". Diese Lösung nimmt sich optisch vielleicht nicht eben ansprechend aus, erfüllte aber einen praktischen Zweck. Früher war es kalt im Cockpit der Flugzeuge, und die Piloten waren entsprechend bekleidet. Während des Fluges mussten sie die Instrumente - und dazu gehörte ihre Uhr - mit Handschuhen bedienen können. Eine filigrane Krone zum Stellen oder Aufziehen der Uhr hätte sich dabei als ausgesprochen unpraktisch erwiesen.

Weshalb Fliegeruhren den Lifestyle treffen

Dass Fliegeruhren darüber hinaus mit langen und besonders robusten Lederbändern ausgestattet werden, ist ebenfalls den niedrigen Temperaturen in großen Höhen geschuldet: Die Piloten trugen ihre Uhren über ihrer dicken Fliegerkluft. Insgesamt machen Fliegeruhren also einen robusten, schmucklosen und maskulinen Eindruck. Genau deshalb erfreuen sie sich solcher Beliebtheit. Sie treffen zum einen den aktuellen Lifestyle und stehen gleichzeitig für die Faszination des Fliegens, die Piloten und Passagiere gleichermaßen in ihren Bann zieht.

Neben diesen charakteristischen äußeren Merkmalen weisen Fliegeruhren auch innerhalb des Gehäuses eine Besonderheit auf: "Das Uhrwerk der Fliegeruhr musste vor starken Magnetfeldern geschützt werden. Deshalb verfügen einige Fliegeruhren über ein Innengehäuse aus Weicheisen", erläutert der Uhrmachermeister und Fliegeruhren-Spezialist Peter-Jesko Buse.

Wie kaum ein anderer Zeitmesser spiegeln Fliegeruhren Geschichte und Geschichten wider. Die Geschichte der Fliegerei und die Geschichten rund um verwegene Flugabenteurer. Und wie alles, was rar und begehrt ist, haben auch die sammelwürdigen Fliegeruhren ihren Preis. Vor allem die Originale aus den 1930er und 1940er Jahren stoßen auf eine starke internationale Nachfrage. "Diese Einzelstücke, die lediglich vor Auktionen und während Messen kurzzeitig in dicht umlagerten Tresoren liegen, sind die Aristokraten unter den Fliegeruhren", schwärmt der Buchautor und Uhrenliebhaber Jürgen J. Ropönus. Und obwohl die Preise für diese gesuchten Zeitmesser schon deutlich gestiegen sind, lohnt der Einstieg noch immer. Vorausgesetzt, die Uhr ist gut erhalten und verfügt über Original-Papiere, die ihre Herkunft dokumentieren. Solche Uhren sind selten, dafür aber sehr gefragt, was fast schon automatisch zu steigenden Preisen führt.

Die gesuchte "Mark XI" von IWC zum Beispiel - Fliegeruhr der Royal Air Force von 1948 in Stahl - kostete 1985 rund 150 D-Mark. Heute müssen Preise von rund 4400 Euro für diese Uhr gezahlt werden, berichtet Hubertus Reygers, Chef der gleichnamigen Galerie für ausgesuchte Uhren in München.

 

Zu den klassischen Fliegeruhren gehören fünf Fabrikate mit speziellen Kalibern, die seinerzeit vom Reichsluftfahrtministerium spezifiziert wurden. Da ist zunächst die Fliegeruhr aus dem sächsischen Glashütte: Lange & Söhne baute damals einen weithin geschätzten Zeitmesser mit dem Kaliber 48/1. Laco stellte eine Fliegeruhr mit dem Durowe-Kaliber D5 her, die Firma Stowa lieferte einen Zeitmesser mit dem Unitas-Kaliber 2812, Wempe brachte eine Fliegeruhr mit dem Thommen-Kaliber 31 auf den Markt, und in der IWC-Fliegeruhr tickte das Kaliber 52 mit Zentralsekunde.

Klassiker von Longines und Breitling

Viele der großen Marken haben Fliegeruhren in ihren Kollektionen. Bis heute ist zum Beispiel der zum Swatch-Konzern gehörende Schweizer Hersteller Longines mit dem Namen des einstigen US-Postfliegers Charles A. Lindbergh verbunden, der am 21. Mai 1927 als Erster im Alleinflug den Atlantik überquerte. Vor seinem Flugabenteuer skizzierte er eine praktische Fliegeruhr mit Navigationshilfe und schickte seine Pläne an John P. V. Heinmüller, den damaligen Chef von Longines in den USA. Heinmüller war selbst passionierter Pilot und erkannte sehr schnell den Praxiswert einer solchen Uhr. Er leitete Lindberghs Skizzen an die Konstruktionsabteilung seines Unternehmens in der Schweiz weiter, wo die sogenannte Lindbergh-Stundenwinkeluhr zur Serienreife entwickelt wurde. Heute erzielen Lindbergh-Uhren auf Auktionen Höchstpreise. Die Stundenwinkeluhr mit dem Kaliber 18.69N aus dem Jahr 1937 zum Beispiel bringt es in gutem Erhaltungszustand heute auf einen Wert von 12000 Euro. Die ebenfalls extrem seltene Lindbergh Stundenwinkeluhr mit dem Kaliber 12L aus dem Jahr 1947 ist kaum unter 3500 bis 4000 Euro zu haben. Gut erhaltene Stundenwinkeluhren aus den 1940er Jahren bekommt man teilweise aber schon für Preise ab 2000 Euro. In solchen Fällen sollten renditeorientierte Uhrensammler nicht lange zögern, denn die Preise werden in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich steigen.

Ebenfalls als "Investmentuhr" geschätzt wird die Navitimer von Breitling - für viele die Fliegeruhr schlechthin. Tatsächlich wird dieser Zeitmesser sehr häufig von Piloten getragen. Firmenchef Willy Breitling höchstselbst hatte den Auftrag zur Umsetzung einer sehr ambitionierten Idee gegeben: Er wollte ein "Armaturenbrett" für's Handgelenk, mit dem sich sämtliche Berechnungen durchführen ließen. Der Mathematiker Marcel Robert kam schließlich auf die Idee eines kreisförmigen Rechenschiebers, der in eine Armbanduhr integriert werden sollte. Herausgekommen ist die Navitimer - und ihr Name war Programm. Er setzt sich zusammen aus den Begriffen "Navigation" und "Timer".

Im Laufe der Zeit kam diese Fliegeruhr mit unterschiedlichen Werken auf den Markt. Die erste Generation der Navitimer mit dem Logo der Aircraft Owner and Pilots Association (AOPA) wurde nach Unternehmensangaben ab dem Jahr 1952 produziert. Im Inneren tickte das Venus-Kaliber 178 mit einem 12-Stunden-Zähler bei 6 Uhr. Die Drehlünette war mit einem Perlenrelief verziert, das später durch ein Rippendekor ersetzt werden sollte. Zwei Jahre danach lancierte Breitling die Navitimer mit einem Valjoux 72-Kaliber. Ab Ende der 1950er Jahre wurde dann wieder das Venus-Kaliber 178 eingebaut. Später folgten die Kaliber Valjoux 7740 und Lemania 1872. Vorübergehend wurden sogar Quarzwerke in die Navitimer eingebaut. In der zeitgenössischen Navitimer World tickt das Breitling-Kaliber 24, das auf dem Valjoux-Kaliber 7754 basiert. Navitimer mit dem Venus-Kaliber 178 oder dem Valjoux-Kaliber 7740 aus den 1960er beziehungsweise 1970er Jahre erzielen heute Preise zwischen 2000 und 2500 Euro. Tickt das seltene Valjoux-Kaliber 72 im Inneren der Uhr, liegt der Wert deutlich höher. Nun soll die Navitimer mit eigenem Manufakturwerk auf den Markt kommen.

Kultstatus genießen auch die Fliegeruhren der Schaffhausener Manufaktur IWC. Bereits im Jahr 1935 baute das von dem Amerikaner Florentine Ariosto Jones gegründete Unternehmen eine erste Fliegeruhr mit Drehlünette. Im Jahr 1940 folgte die "Große Fliegeruhr", deren 2002 lanciertes Nachfolgemodell heute zu den Flaggschiffen des Nobeluhrenherstellers zählt und sich durch eine hohe Werthaltigkeit auszeichnet. Richtig Geld verdienen können Sammler aber mit den erwähnten alten "Mark"-Modellen von IWC.

Kaum bekannt außerhalb von Sammlerkreisen sind schließlich die Fliegeruhren des Schweizer Herstellers Omega. Das Unternehmen stellte ab den 1930er Jahren Fliegeruhren sowohl für die britische Royal Air Force als auch für die Deutsche Luftwaffe her. Für die sehr seltene Fliegeruhr mit Drehlünette und dem Kaliber 26.5 SOB aus dem Jahr 1935 muss man heute rund 8000 Euro investieren.

Keine Frage, die gesuchten Fliegeruhren haben in den vergangenen Jahren schon kräftig abgehoben. Dennoch gehen Experten davon aus, dass die Luft noch nicht dünn ist. Abgesehen von vorübergehenden Turbulenzen, die bei keinem Investment ausgeschlossen werden können, sollte sich der Steigflug fortsetzen.

Michael Brückner

Archivbeitrag 15.02.2011
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