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Eine kurze Geschichte der Zeit - Faszination Uhren und Zeitmessung

Eigentlich sind mechanische Uhren überflüssig, genau genommen ein Anachronismus, meint Heinrich Stevens, der selbst der Faszination des edlen Handwerks verfallen ist, knapp. Für den Uhrmacher aus Willich-Anrath, der sich sowohl als Beruf und aus Leidenschaft den feinmechanischen Präzisionsgeräten widmet, sind diese Uhren fast schon ein Symbol der Rebellion gegen Konformismus und einheitliche Massenware. Diese provokante und ungewöhnliche These aus dem Munde eines Profis und Liebhabers ist Grund genug, auf genauso provokante und ungewöhnliche Art die Frage zu stellen, was denn nun genau den Anachronismus einer mechanischen Uhr ausmachen könnte.

Uhren als nützlicher Schmuck

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Dass mechanische Uhren mit ihrem feinen Räderwerk und ihrer komplizierten, faszinierenden Mechanik wahre Schmuckstücke sein können, weiß eigentlich jeder. Dass sie es zudem prinzipiell in punkto Ganggenauigkeit und Gebrauchsfähigkeit mit jeder elektrischen Uhr aufnehmen können, ist ebenfalls bekannt. Dazu - so der Fachmann Heinrich Stevens - haben mechanische Uhren den Vorteil, dass sie jederzeit und immer wieder repariert werden und ein lebenslanger Begleiter sein können, während z.B. Quarzuhren irgendwann ersetzt werden müssen. Ihre Schönheit, gepaart mit praktischer Verwendbarkeit, ist es also nicht, was mechanische Uhren zum wandelnden Anachronismus macht. Vielleicht gibt ein kurzer Blick auf das, was gemessen wird - die Zeit selbst - etwas Aufschluss über das besondere, individuelle Wesen dieser Uhren.

Die große Himmelsuhr

Bild Uhr mit Saphirglas und Mineralglasboden -24-Stunden-Anzeige
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Uhr mit Saphirglas und Mineralglasboden
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(Edition Heinrich Stevens)

Keine Angst - hier geht es weder um Astrophysik noch um die Entstehung des Universums, sondern nur um eine kurze Betrachtung der Zeit und ihrer Messer, der Uhren.

Bis ins frühe Mittelalter galt die Zeit als etwas Mysteriöses, Göttliches, was vom Himmel geschaffen und angezeigt wurde. Der tägliche Höchststand der Sonne legte die Mittagszeit fest, gemessen wurde dieser Zeitpunkt hauptsächlich mit Sonnenuhren, obwohl bereits Wasseruhren in Gebrauch waren. Dass der scheinbare Lauf der Sonne nicht gleichmäßig ist, sondern einige Teile des Tages, sprich Stunden länger, andere kürzer waren als andere, störte niemanden.

Stundenuhren

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Vielleicht entstand das Bedürfnis, den Tageslauf präziser zu teilen und zu messen, durch die um sich greifende Arbeitsteilung und durch große Reiche. Jedenfalls wird berichtet, dass sich römische Legionäre über die längere Dauer der Nachtschichten im winterlichen Britannien gegenüber Rom beschwerten - kein Wunder, waren doch die Nächte im Norden sowohl kälter als auch länger als im Süden und die Nacht nicht nach Stunden, sondern als der Zeitraum zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang festgelegt. Vielleicht war aber auch der christliche Glaube im Mittelalter ausschlaggebend, nachdem Mönche und Kleriker es als ihre Aufgabe ansahen, die von Gott geschaffene und bestimmte Zeit aufzuteilen und zu verkünden.

Auf jeden Fall kamen in der Spätantike bis zum frühen Mittelalter neben Wasseruhren, unterschiedlichen Arten von Feueruhren - ein bestimmter Verbrauch von Öl oder Wachs zeigte die verflossene Zeit an - Wasseruhren sowie Stundengläser - damals Eieruhren genannt - in Gebrauch, die den Tag in regelmäßige, gleich bleibende Einheiten aufteilten. Stundengläser bestanden oft einfach nur aus speziell geformten Gläsern, durch die in gleichmäßigem Tempo feiner Sand aus gemahlenen Eierschalen rann. Sie dienten dazu, den Tagesablauf und vor allem die Gebetszeiten der Mönche zu regeln. Parallel und einigermaßen übereinstimmend mit dem astronomischen Lauf der Himmelskörper wird der Tag etwa anno 1340 in 2 x 12 Stunden zu je 60 Minuten a 60 Sekunden festgelegt. Ganz nach der Zeiteinteilung dieser Stundenuhren wurde der Bevölkerung die aktuelle Stunde von der Kirchenglocke oder von Ausrufern verkündet. Begriffe wie „die Stunde schlägt“, das englische Wort „clock“ oder der veraltete Begriff „Glasen“ für die Uhrzeit in der Seefahrt erinnern noch an diese Epochen.

Mechanische Uhren - Symbol der Neuzeit

Bild Uhr mit Datumsanzeige und Stoppuhr-Funktion -(Edition Heinrich Stevens)
Uhr mit Datumsanzeige und Stoppuhr-Funktion
(Edition Heinrich Stevens)

Die Annahme, der Tag sei in gleiche Einheiten aufzuteilen, bedeutete zugleich das Ende der Sonnenuhren, weil diese nicht gleichmäßig genug liefen. Der Gedanke, diese Tagesteile nicht nur mit letztlich handbetriebenen Sanduhren, sondern auch mit anderen Mechanismen zu messen, führte nicht nur zu perfektionierten Wasseruhren, Kerzenuhren und vielen weiteren Ansätzen, sondern vor allem auch dazu, dass der Zeit das Göttliche genommen und sie zum weltlichen Ordnungsfaktor wurde. Nach ihr richtete sich jetzt das Leben vor allem in den Städten - beispielsweise wurde abends um acht durch das Schließen von Stadttoren der Beginn der Nacht bestimmt; umgekehrt wurde zu einer bestimmten Stunde morgens der offizielle Taganfang im wahrsten Sinne des Wortes eingeläutet.

Erste mechanische Uhren - zunächst als Kirchturmuhren, dann auch als Standuhren in privaten Räumen - tauchten auf und stellen das kirchliche Vorrecht auf Bestimmung der Stunde mehr und mehr in Frage. Je präziser diese mechanischen Räderwerke liefen, umso stärker wurde das Bewusstsein, den Ablauf der Zeit zu messen, in kleinste Einheiten teilen zu können, so dass die Vorstellung entstand, die Zeit sei identisch mit dem, was die Uhr misst - nämlich gleichförmig, universal und absolut. Nicht zu Unrecht ist die mechanische Uhr das typische Symbol der Neuzeit, verkörpert sie doch besser als jede andere Maschine den Glauben an die Teilbarkeit, Gesetzmäßigkeit, Erkennbarkeit und letztlich Beherrschbarkeit der Welt, zeigt das Wissenschaftsbild und Selbstverständnis der beginnenden Neuzeit.

„Die Welt ist kein Gott mehr. Sie ist eine Maschine mit ihren Rädern, Seilen, Rollen, Federn und Gewichten“ brachte Diderot, französischer Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung, im 18. Jahrhundert dieses Weltbild auf den Punkt.

Siegeszug mit der H4

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Internationaler Handel, Schiffsreisen, Inbesitznahme und die damit verbundene, notwendige Kartierung der Welt im 18. Jahrhundert machte eine genaue Ortsbestimmung unumgänglich. Der Breitengrad, auf dem man sich befand, war leicht anhand der Position der Sonne oder eines Gestirns festzustellen, wohingegen es für den Längengrad, also die Position in östlich/westlicher Richtung, kaum nutzbare Hinweise am Himmel oder auf der Erde gab - weswegen auch genau das Problem der Bestimmung des Längengrades neben der Quadratur des Kreises und der Verdopplung des Würfels zu den unlösbaren Rätseln der griechischen Antike zählte, unlösbar jedenfalls, was die geometrischen und mathematischen Erkenntnisse betraf.

Astronomen hatten versucht, das Problem „himmlisch“, durch die Berechnung von Monddistanzen oder der Position der Jupiter-Monde zu lösen, während der englische Uhrmacher John Harrison mit dem - zunächst belächelten - Ansatz der Differenz der Ortszeiten in Ost-West-Richtung das im Prinzip bis heute gültige Verfahren entwickelte. Als der Feinmechaniker mit dem mechanischen Chronometer „H4“ - einer Schiffsuhr, die auf einer 81-tägigen Seereise trotz Wind, Wellen, Feuchtigkeit und anderer Widrigkeiten nur um 6 Sekunden abwich - war der Siegszug der vom Menschen geschaffenen, mechanischen Uhr gegen die Himmelsuhr Uhr endgültig besiegelt.

Normalzeit als Beginn einer neuen Zeitära

Bild Uhr mit Automatikwerk und Datumsanzeige -(Edition Heinrich Stevens)
Uhr mit Automatikwerk und Datumsanzeige
(Edition Heinrich Stevens)

Dieser grandiose Siegeszug mechanischen Menschenwerks barg gleichzeitig den Hinweis auf das Ende dieser erfindungsreichen, vorwärts weisenden Epoche. So wissen wir heute, dass die Erde keine Kugel, weder geometrisch geformt noch präzise vermessbar, sondern ein vielfach eingebeultes Geoid ist, deren Achse zudem hin und her schwankt, so dass auf der Basis ihrer Bewegung., d.h. des Himmels und der Sterne, weder eine beliebig genaue Ortsbestimmung noch eine präzise Zeitmessung in kleinsten Einheiten möglich ist - jedenfalls nicht in Form kleiner Zeitteile, aus denen sich ein Tag zusammensetzt noch in vollständiger Übereinstimmung mit dem Lauf von Sonne, Mond und Sternen.

Erste Probleme tauchten schnell schon mit zunehmender Kommunikation auf. Der Eisenbahnverkehr war einer der kritischen Punkte, die es erforderlich machten, die Zeit neu zu „erfinden“ und somit zum Ende der mechanischen Zeitmesser beitrug. Genügte vorher die Teilung der Zeit entsprechend des Ortes, war nun eine geographisch einheitliche und überregionale Zeit vonnöten, um die Anweichung des Tageslaufes - nicht nur in Ost-West, sondern auch in Nord-Süd auszugleichen. Denn ein Zug, der 50 Minuten von A nach B brauchte, musste auch genau 50 Minuten nach seiner Abfahrt in B ankommen, und nicht etwa nach 49 oder 52 Minuten - alles andere hätte überregionale Fahrpläne unmöglich gemacht. So kam es, dass die große, runde „Normalzeituhr“ - einige erinnern sich vielleicht noch an diesen Begriff für Bahnhofsuhren - fast überall um wenige Minuten anders lief als Urgoßväterchens Taschenuhr, die zu jener Zeit als tragbarer Zeitmesser für unterwegs zusätzlich zu Standuhren in Mode kamen.

Einsteins Raumzeit-Kontinuum

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Einsteins Relativitätstheorie, nach der die Zeit keineswegs gleichförmig und absolut verläuft, macht das Messen einer absoluten, weltweit oder gar universal gültigen Zeit in einheitlichern, kleinsten Teilchen nicht wirklich einfacher. Aufgrund dieser grundsätzlichen Probleme als auch der Erkenntnis, dass die Welt und die Zeit letztlich nicht beliebig messbar sind, wurde 1956 die Jahrhunderte lang geltende Definition einer Sekunde als 86. 400 Teil des mittleren Sonnentages abgelöst und stattdessen die Schwingungen des Cäsium-Atoms als Referenzgröße definiert.

Anders als vielleicht der eine oder Funkuhr-Besitzer vermutet, wurde dadurch das Wesen der Zeit genauso wenig geklärt wie ihre Messung vereinheitlicht, sondern eine neue technische Methode entwickelt. So wird in der Luftfahrt nach UTC - der koordinierten Weltzeit, die um Bruchteile von Sekunden von der Greenwich-Zeit abweicht - gemessen, die GPS-Zeit, die zentimetergenaue Navigation ermöglicht, wiederum weicht um winzigste Einheiten von der Seefahrt gebräuchlichen UT1-Zeit ab. Wiederum anders bestimmt das Funksignal, was die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig als Zeitnormal versendet, die aktuelle Sekunde - absolut korrekt kann keine Messung sein.

Vielleicht liegt darin der Anachronismus mechanischer Uhren, die eigentlich noch eine ganz andere Zeit messen, nämlich eine, die den Tag aufteilt und ordnet, ohne dass sie dabei im Alltag praktisch relevant anders laufen als jede andere Uhr.

Uhren als Marken- und Massenware

Bild Damenuhr mit Automatikwerk und Datumsanzeige -(Edition Heinrich Stevens)
Damenuhr mit Automatikwerk und Datumsanzeige
(Edition Heinrich Stevens)

Zu Anfang des letzten Jahrhunderts setzen sich Zeitmesser als Massenware durch, denn jeder, der es sich leisten konnte, wollte eine eigenen Uhr besitzen, den Tag selbst einteilen und ordnen - sozusagen die Verantwortung über die Zeit und ihre Nutzung übernehmen. Ab etwa 1900 wurde es allgemein Usus, sich beim Uhrmacher individuell eine Taschenuhr fertigen zu lassen. Erste maschinell hergestellte Uhren ließen zeitgleich die Preise fallen.

Zu diesem Zeitpunkt, noch im Kaiserreich im Jahre 1904, gründete Heinrich Stevens, Goßvater, den Juweliers- und Uhrmacherbetrieb in Willich-Anrath und fertigte hauptsächlich die damals üblichen Taschenuhren für die etwas wohlhabendere Bevölkerung. Nach dem 2. Weltkrieg kamen Taschenuhren aus der Mode, man wollte lieber die weitaus bequemeren und handlicheren Armbanduhren tragen, die 1927 noch als „dumme Modeerscheinung“ von der Fachwelt verpönt wurden. Wer sich keine der praktischen Armbanduhren leisten konnte, lies einfach seine Taschenuhr umbauen.

Heinrich-Stevens-Editon

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Nach erstmals 80 Jahren stellt Heinrich Stevens, Enkel des Firmengründers, wieder eine eigene Uhren-Edition vor. Damit möchte er das Individuelle einer Uhr, die Auflehnung gegen das Markendenken und einheitliche der Massenware, betonen. Die Uhren der Heinrich-Stevens-Editon fügt er jeweils nach dem Geschmack des späteren Trägers zusammen und geht auf spezifische Wünsche in Funktion und Design ein, so dass jede dieser Uhren in streng limitierter Auflage die individuelle Persönlichkeit des Besitzers spiegelt. Nicht zuletzt möchte Heinrich Stevens mit seiner Edition der Massenware und dem Markenfetischismus etwas entgegensetzen und bietet diese Uhren zu einem fairen, oftmals günstigerem Preis-Leistungs-Verhältnis an als dies bei vielen standardisierten, aber teuren Markenuhren der Fall ist.

Gelebter, praktischer Anachronismus

Bild Chronograph mit Wochentags- und Datumsanzeige -(Edition Heinrich Stevens)
Chronograph mit Wochentags- und Datumsanzeige
(Edition Heinrich Stevens)

Nachdem wir nun - passend zum ungewöhnlichen Uhrmacher-Handwerk - die mechanische Uhr etwas unkonventionell vom philosophischen Ansatz her betrachtet haben, können wir die Aussage des Uhrenliebhabers bestätigen. Ganz abgesehen von der Schönheit und der Technik hat so ein mechanisches Meisterwerk etwas ganz Eigenes, etwas Rebellisches gegen den Zeitgeist an sich.

Genauso können wir nachvollziehen, dass Stevens jede mechanische Uhr als eine Art lebendes Wesen gilt, das im Bedarfsfall mit möglichst wenig Ersatzteilen wieder funktionsfähig gemacht werden muss. So baut der Anrather nicht nur neue Uhren, sondern repariert und restauriert auch alte. Zu seinen „Patienten“ zählen antike Standuhren aus dem 17. und 18. Jahrhundert über Taschenuhren aus dem 19, Jahrhundert bis hin zu modernen Armbanduhren - Hauptsache, mechanisch. Um sein Ziel zu erreichen, entwickelte er die Methode des Laserschweißens, bei der z.B. fehlende Zähne oder defekte Zapfen nicht ersetzt, sondern entsprechend aufgelasert werden und damit möglichst viel vom ursprünglichen mechanischem Feinwerk erhalten bleibt.

Wir danken dem Uhrmachermeister und Juwelier Heinrich Stevens in Willich-Anrath für die Anregungen, Informationen und die Unterstützung beim Schreiben dieses Artikels, aber auch für die Bilder, die er uns zur Verfügung gestellt hat. Wer neugierig geworden ist, an den abgebildeten Uhren Gefallen gefunden hat und etwas mehr zur Arbeit und zur Uhrenkollektion von Heinrich Stevens wissen will, wird im Internet fündig:

www.uhren-stevens.com

Fotos: Uhrmachermeister und Juwelier Heinrich Stevens, Willich-Anrath

Archivbeitrag 19.07.2011
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