Ganz nah bei der zukünftigen Elbphilharmonie, mitten in Hamburg, dort, wo auf ehemaligem Industrie- und Hafengelände an der neuen Hafencity gebaut wird, lag er: Zwischen Bauschutt, Baggern, verfallenden Kaimauern, die winzige Sandstrände freigaben, fand ich ihn, ein verhutzeltes, etwa daumengroßes, bräunlich-gelbes Ding, was auf den ersten Blick fast aussah wie ein alter Kaugummi, wies auf den zweiten Blick an einigen Stellen einen für einen Kaugummi ungewöhnlichen, leichten Glanz auf. Das Steinchen lag fest und angenehm schmeichelnd in der Hand, so dass kaum Zweifel blieb - ein Bernstein im Hamburger Hafen.
Natürlich überprüfte ich meinen Fund genauer, denn ob es sich um einen echten Bernstein handelt, lässt sich leicht feststellen und wie das geht, oft schon aus seinen unterschiedlichen Namen herleiten. So brachte ihm die meist gelbliche Farbe den Namen Ambra (engl. Amber) ein, das germanische Wort „glaes“ wie Glas deutet auf die Durchsichtigkeit hin, die er ohne die äußere Verwitterungshaut zeigt.
Im Rohzustand gibt der griechische Name „Elektron“ den Hinweis auf eine seiner physikalischen Eigenschaften, denn echter Bernstein lässt sich elektrostatisch aufladen, so dass an ihm Schnipselchen hängen bleiben, nachdem man ihn z.B. mit einem Stückchen Stoff gerieben hat. Ein zweiter Test basiert auf dem äußerst geringen spezifischen Gewicht des Bernsteins, was ihn zwar in Süßwasser auf den Grund sinken, jedoch schon in Kochsalzlösung oben schwimmen lässt. Nachdem mein unscheinbares Steinchen diese beiden Tests bestanden hatte, verzichtete ich auf den dritten Echtheitsbeweis, müsste ich damit doch mein kleines Fundstück anzünden. Auch hier liefert der Name den entscheidenden Tipp: Bernstein kommt vom Niederdeutschen „börne steen“, also Brennstein, denn Bernstein en entwickelt dabei einen aromatisch-würzigem Geruch, weshalb er auch als Weihrauch-Ersatz für sakrale Zwecke benutzt wurde.
Bei Bernstein handelt es sich im Gegensatz zu seinem Namen keineswegs um einen Stein; er zählt nicht einmal zu den Mineralien. Wissenschaftlich gesehen ist Bernstein nur schlichtes Polyester aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel sowie einigen weiteren Zutaten. Diese profane Definition schadet der uralten Faszination keineswegs, wird doch Bernstein schon seit Jahrtausenden bis heute zu wertvollem Schmuck verarbeitet, der nicht nur durch seine kunstvollen und vielfältigen Schliff-Möglichkeiten besticht, sondern auch durch seine Farbspiele, die von durchscheinendem, zarten Ambertönen bis hin zu bläulich-grünen Tönen variieren. Zudem haftet Bernstein eine mystische Bedeutung als Heilstein und Glücksbringer an, die sicher mit seiner Entstehung aus lebendem Material, den Bernsteinwäldern, verbunden ist. Harz, das aus den Wunden urzeitlicher Nadelwälder austrat, sank durch Einwirkung tektonischer Bewegungen, Wasser, Brandung oder Eis in tiefere Erdschichten und verhärtete sich unter Druck und Luftausschluss im Laufe von Millionen Jahren zum begehrten Bernstein.
Dieser natürliche Prozess brachte es mit sich, dass gelegentlich kleinere Tiere oder Pflanzenteilchen mit eingeschlossen wurden - Inklusen, die als Zeugen des Lebens vor etwa 50 Millionen Jahren sicher in ihrem durchsichtigen Gefängnis für die Nachwelt konserviert sind und dabei nicht nur daraus gearbeitete Schmuckstücke einzigartig und wertvoll machen, sondern auch für die Archäologie von großem Interesse sind. Da Bernsteine mit vollständigen Inklusen zwar sehr begehrt, aber auch selten sind - nur in etwa jedem 500. Fund kommt überhaupt eine Inkluse vor, zudem meist nur in Fragmenten - werden auf dem Markt leider reichlich Fälschungen angeboten.
Bernstein kommt im Prinzip außer in den Polargebieten fast überall dort auf der Welt vor, wo urzeitliche Wälder standen, hauptsächlich verbreitet ist das beliebte, uralte Baumharz aber auf der nördlichen Erdhalbkugel, wo es eiszeitliche Gletscher über ganz Nordeuropa verteilten. Durch sein geringes Gewicht strandet Bernstein an den Küsten der Ost- und Nordsee an, wurde schon in der Steinzeit gesammelt und früh zum begehrten Handelsgut. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Bernstein in industrieller Form im Tagebau gefördert. Bekannt sind die Fundstellen im Baltikum rund um Kaliningrad, aber auch in Bitterfeld, mitten im sächsischen Braunkohlerevier, förderte man nicht nur Kohle, sondern bis 1993 auch ca. 500 Tonnen Bernstein.
So ist mein kleiner Fund keineswegs ungewöhnlich, allenfalls ist der Fundort mitten im Baugelände, wo mein Stück Küstengold wahrscheinlich vom Grund der Elbe mit heraufgebaggert oder von der Flut hereingeschwemmt wurde, unerwartet. Und wer weiß, vielleicht handelt es sich bei dem unscheinbaren, verwitterten, braun-gelb Glänzenden, was Sie bei einem Spaziergang liegen sehen, auch um einen Bernstein?
Archivbeitrag 08.09.2011